Die Germanin
Blick verunsichert. »Gewiss… doch was ist es? Wenn es in meiner Macht steht…«
»Nimm mich mit nach Mogontiacum!«
»Du meinst… jetzt? Auf meiner Reise dorthin?«
»Ja! Lass mich mitreisen… unter deiner Dienerschaft!«
»Aber… Ja, wie denkst du dir…?«
»Ich könnte doch nützlich sein!«, sagte sie rasch, »bei deinen Geschäften… als Schreiberin… auch anderes könnte ich tun… unterwegs die Kleidung in Ordnung halten, die Wäsche besorgen… ich könnte…«
»Nelda!« Er schnitt ihr das Wort ab und legte die Hände auf ihre Schultern. »Das geht nicht! Du gehörst nicht zu unserer Dienerschaft. Du bist Gefangene des römischen Staates! Ein wertvolles Faustpfand, mit dem der Caesar vielleicht einmal Politik machen will. Mein Vater musste feierlich versprechen, dich und deinen Sohn immer in Rom oder der nächsten Umgebung und unter strenger Bewachung zur Verfügung zu halten. Die zwanzig Meilen, die dieses Gut von Rom entfernt ist, sind das Äußerste.«
»Wage es trotzdem!«, flehte sie. »Nimm mich mit!«
»Aber was willst du in Mogontiacum?«
»Du sagtest, mein Vater…«
»Würdest du ihn denn mit mir aufsuchen wollen?«
»Ja… ja, das würde ich!«, versicherte sie. »Ich habe es mir überlegt, du hast recht, ich sollte…«
»Aber Thumelicus…«
»Du wolltest ihn doch in dein Haus nehmen… zu deinen Kindern… in die Obhut des Lehrers.« Immer heftiger, drängender redete sie auf ihn ein. »Niemand würde etwas bemerken! Terentius wird glauben, ich sei in Rom – und dort wird man denken, ich sei hier. In all den Jahren hat sich der Caesar nicht um mich gekümmert, warum sollte er gerade jetzt… Ich bitte dich, Gaius, nimm mich mit! Hab keine Angst, ich werde nicht fliehen! Wie könnte ich das, wenn mein Kind hier zurückbleibt? Gaius! Ich habe hier nur dich, du bist mein einziger Freund, und gäbe es ihn nicht… ihn…«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie presste die Stirn an seine Brust. Er legte die Hände auf ihren Rücken und zog sie einen Augenblick an sich, unentschlossen, verwirrt. Er wusste nicht recht, was er von diesem plötzlichen Sinneswandel halten sollte. Sie mochte irgendetwas anderes bezwecken, als sie zuzugeben bereit war. Doch was? Er glaubte ihr, dass sie nicht fliehen würde, dazu liebte sie ihren Sohn zu sehr. Wenn er aber nachgab… wie ließ sich so etwas geheim halten? Und wie sollte er es zuwege bringen, dass sein Vater, der für die Gefangene verantwortlich war, nichts davon erfuhr? Es war unmöglich.
Trotzdem dachte er schon darüber nach, was zu tun sei.
29
Etwa eineinhalb Monate später, Anfang September, war in dem bewaldeten Hügelland nördlich der Adrana, wo die Stammesgrenze zwischen Chatten und Cheruskern verlief, ein zwölfköpfiger Reitertrupp unterwegs. Sieben der bewaffneten jungen Männer waren Chatten, zwei Chattuarier. Ein Hermundure und ein Usipeter waren dabei. Der Zwölfte schließlich, der den Trupp anführte, war Cherusker. Dieser Cherusker war, was die anderen nicht wussten, eine Frau.
Die Idee, Nelda als Mann verkleidet reisen zu lassen, hatte Gaius Sempronius gehabt. Da er auf der beschwerlichen Reise zum Rhenus nur männliche Diener mitnehmen wollte, wäre sie zu sehr aufgefallen und womöglich von jemandem, der sie beim Triumphzug oder bei anderer Gelegenheit gesehen hatte, erkannt worden. Gleich nach der Ankunft in Rom wurde ihre Verwandlung von einigen Vertrauten seines Haushalts vollzogen. Ihr Haar wurde gekürzt und bekam einen männlichen Schnitt, sie zog die langärmelige Tunika über das knielange Hemd und warf noch einen Mantel darüber, sodass ihre Körperformen undeutlich wurden. Mit allem versehen, was sie als scriba, als Schriftführer, benötigte, bestieg sie den Reisewagen. Sie hatte immer einen Platz neben dem Herrn, damit er ihr bei Aufenthalten sogleich diktieren konnte, und unter ihren Gefährten gab es nur zwei ältere verschwiegene Diener, die eingeweiht waren und sie des Nachts in Gutshäusern, Herbergen oder Zelten in die Mitte nahmen.
Gegen Ende des Monats August erreichten sie Mogontiacum. Ein Bote war vorausgeeilt und sie wurden von dem Negotiator empfangen, mit dem Gaius Sempronius in geschäftlichem Verkehr stand. Es war noch derselbe, der seinerzeit auf dem Segesteshof mit einem Knüppelhieb niedergeschlagen worden war, ein schmales, inzwischen völlig verhutzeltes Männlein. Er erkannte Nelda nicht. Doch kam er gleich bei der ersten Begegnung auf dieses Erlebnis zurück und
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