Die Germanin
die Germanen. Denn so viel steht fest: Er hat Feinde im eigenen Lager. Waren die Chatten nicht früher seine Verbündeten?«
»Ja, und sehr zuverlässige…«
»Kanntest du einen Adgandestrius?«
»Ja, ich kannte ihn. Er war manchmal bei uns zu Gast. Ein tapferer Mann und guter Freund.«
»Vielleicht ist der gute Freund zum tückischen Feind geworden.«
»Ist das wahr? Das glaube ich nicht!«
»Ich sollte dich nicht in Unruhe versetzen«, sagte er seufzend, »aber mein Vater hat mich beauftragt, dich über diesen Mann zu befragen. Im Senat wurde ein Brief verlesen, von Adgandestrius, dem Fürsten der Chatten, wie es hieß. Darin erbot sich dieser, Arminius zu ermorden…«
»Was sagst du?«
»… wenn man ihm zur Ausführung des Mordes Gift schicken wolle. Tiberius habe ihm antworten lassen, sagte mein Vater, das römische Volk nehme an seinen Feinden nicht heimlich und hinterrücks Rache, sondern nur offen und im ehrlichen Waffengang. Eine würdige Antwort! Aber auch eine ehrliche Antwort? Mein Vater hat Zweifel, wie auch andere Senatoren. Sie fragen sich, ob der Brief des Adgandestrius echt ist.«
»Ich traue ihm das nicht zu«, murmelte Nelda, und wiederholte entschiedener: »Nein, nein! Er war immer offen und aufrichtig, ein treuer Kampfgefährte…«
»Das will nichts besagen«, meinte Gaius. »Er kann seine Haltung geändert haben. Denke nur an Inguiomer! Allerdings fand man merkwürdig, dass ein Germanenfürst von uns Gift haben will, wo doch in seinen Wäldern viele giftige Pflanzen wuchern und wo es unter den Frauen seines Stammes so viele Zauberinnen gibt, die giftige Tränke zu mischen verstehen.«
»Was vermutet denn dein Vater?«
Gaius reckte den Hals und blickte sich um.
»Ich hoffe, es steht niemand hinter der Hecke. Man wird, wo man geht und steht, bespitzelt. Nun, er nimmt an, der Brief des Chatten sei nur um der heroischen Antwort willen erfunden worden. Damit der Caesar behaupten kann, er hätte auf keinen Fall etwas damit zu tun, wenn…«
»Wenn…?«, fragte sie mit weit geöffneten Augen.
»Nein, nein!«, sagte Gaius lächelnd und hob beide Arme mit einer abwehrenden Geste. »Diese Vermutung geht zu weit! Entschieden zu weit! Lassen wir das und sprechen wir von etwas anderem.«
»Wer, glaubst du, hat Segithank die Flucht ermöglicht?«, fragte sie unvermittelt, mit scharfer Betonung. »Warum sagtest du: ›Besser ist es, man nennt keine Namen‹?«
»Sagte ich das?« Er lachte. »Nun, so spricht man jetzt allgemein, wegen der vielen Denunziationen. Das ist geradezu ein geflügeltes Wort in Rom. Oh, da kommt Terentius! Er will mir die Zuchtrinder zeigen, die er vor ein paar Tagen gekauft hat… Überleg dir noch einmal, Nelda, ob du nicht doch den Brief schreiben willst.«
Gaius hatte den Verwalter entdeckt, der sich misstrauisch blinzelnd am Eingang der Halle herumdrückte, ging zu ihm und zog ihn fort.
Eilig hast du es, dachte Nelda, das verfängliche Gespräch zu beenden. Eine Weile saß sie noch auf der Bank, den Kopf in die Hände, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Dann stand sie auf und wollte durch den Säulengang ins Haus gehen. Doch plötzlich verharrte sie, machte zwei taumelnde Schritte, stützte sich an einer Säule, presste die Stirn gegen die glatte Rundung. Sie ergriff einen Zipfel des um den Hals geknoteten Tuches und knüllte ihn so fest, dass es schmerzte. Ein Schrei drängte aus ihrer Kehle und sie biss in das Tuch, um ihn zu unterdrücken.
Schließlich kehrte sie zurück in die Turmkammer. Dort ließ sie sich auf dem Klapphocker nieder, saß wieder lange Zeit reglos da und starrte zum Fenster hinaus. Sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie Gaius Sempronius nicht bemerkte, der quer über den Gutshof auf das Haus zukam.
Als er in der Tür stand, erschrak sie.
»Nun?«, fragte er. »Hast du noch einmal nachgedacht?«
»Ich möchte dich etwas fragen«, sagte sie, wobei sie langsam aufstand und, den Kopf gesenkt, vor ihm stehen blieb. »Ihr habt mir schon manche Wohltat erwiesen, dein Vater und du… aber auch ich… auch ich konnte einmal etwas für euch tun…«
»Du hast uns das Leben gerettet, Nelda«, erwiderte Gaius, ohne zu zögern. »Hättest du uns damals nicht rechtzeitig gewarnt und uns zur nächsten Präfektur gebracht… wer weiß, was uns geschehen wäre.«
»Würdest du etwas für mich wagen?«, fragte sie, wobei sie den Kopf hob und ihn ernst und durchdringend ansah.
»Oh ja… ja, das würde ich«, erwiderte er, durch ihren
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