Die Germanin
waren auf kurzen Tagereisen mehrere Plätze in der Umgebung aufzusuchen. Gaius wollte Nelda zwar gern mitnehmen, aber auch auf seinen vertrauten, erfahrenen Schriftführer für geschäftliche Angelegenheiten nicht verzichten. Dieser konnte auf der Kutscherbank des Zweisitzers mitfahren, mit einer weiteren Person würde es aber eng werden. So war es Gaius ganz recht, dass Nelda ihn bereits am ersten Morgen eines Unwohlseins wegen bat, mit den anderen Dienern in der Herberge bleiben zu dürfen. Ein Verdacht, den er schon während der Reise nie ganz unterdrücken konnte, kam ihm auch jetzt, doch wies er ihn gleich wieder von sich: Nein, ein solches Vorhaben, wenn sie es wirklich im Sinn hatte, war undurchführbar. Vollkommen undurchführbar.
Nelda hatte indessen die halbe Nacht wach auf der Herbergsmatratze gelegen und über dieses Vorhaben nachgedacht. Kaum war Gaius Sempronius fort, verließ sie, nachdem sie beim Wirt eine kurze Nachricht für ihn hinterlegt hatte, die Herberge und eilte zum Hafen. Sie machte einen Umweg und im Gassengewirr der cannabae mit den Läden und Werkstätten der Händler und Handwerker schüttelte sie die beiden alten Diener ab, die ihr – zweifellos im Auftrage ihres Herrn – zu folgen versuchten. Im Hafen hielt sie Ausschau nach Kaufleuten, die entweder auf Schiffen oder über die hölzerne Brücke zum Kastell hinüber wollten, dem kleineren römischen Militärlager auf der anderen Seite des Rhenus. Sie hatte Glück. Ein Händler, der seine Ware auf zwei hoch beladenen Wagen zu den Legionären dort drüben und den in der Umgebung siedelnden römerfreundlichen Mattiakern bringen wollte, erlaubte ihr, sich ihm anzuschließen. Er wollte bei den Mattiakern Pelze erhandeln, klagte aber darüber, dass sie schlechte Jäger seien und zu hohe Preise verlangten. Das war für Nelda, die sich ihm mit dem germanischen Namen Gerbod vorgestellt hatte, ein willkommener Gesprächsgegenstand. Neben ihm auf der Kutscherbank des ersten Wagens sitzend, während sie – nach einem Aufenthalt am Tor des Kastells – auf der Straße zur Römerfestung bei den heißen Quellen dahin rumpelten, überredete sie ihn, seine Handelsreise am Südrand des Mons Taunus fortzusetzen und sich ins Land der Chatten vorzuwagen. Die seien ausgezeichnete Bärenjäger, auch Felle von Füchsen, Wölfen und Mardern könne man bei ihnen billig erwerben. Der Händler brachte kleinmütig verschiedene Einwände vor, weil die Chatten als wilder Stamm galten, der immer wieder die Römer bekämpft und auch manchen Kaufmann beraubt hatte. Doch sein neuer Freund Gerbod zerstreute diese Bedenken mit dem sicheren Wissen darüber, dass sie in letzter Zeit von dem römerfeindlichen Stammesbund abgefallen seien und wieder Anschluss an das Imperium suchten. Er selbst, erklärte Gerbod dem Händler, sei ein schon lange in der Gallia Belgica lebender gebürtiger Cherusker, der einst vor Arminius und seinen Horden geflohen sei, und er wage sich deshalb zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder dorthin, um nach einem Bruder zu forschen, der eine Chattin geheiratet habe.
Da Nelda gute Kenntnis der Örtlichkeit bewies (sie befanden sich auf derselben Straße, auf der sie vor sechs Jahren in die Gefangenschaft geführt worden war) und überdies die Sprache der Chatten recht gut beherrschte, vertraute sich der Händler, ein Gallier, der noch jung und wenig erfahren war, ihrer Führung gern an. So erreichten sie schon am dritten Tag die Gebiete der Chatten und obwohl sie nur durch halb verfallene, spärlich bewohnte Weiler zogen, machten sie einige günstige Tauschgeschäfte. Wohin auch immer sie kamen oder wann immer sie Menschen trafen, erkundigte sich Nelda nach einer Gruppe junger Cherusker, zu der ein auffallend groß gewachsener und kräftiger Einäugiger gehörte, vermutlich auch ein Rotschopf mit blauen Augen. Männer, auf die eine solche Beschreibung passte, waren aber nirgendwo durchgekommen.
Am sechsten Tag ihrer gemeinsamen Reise rasteten sie am Ufer eines Flüsschens, als sich plötzlich ein Reitertrupp näherte. Die wild und verwahrlost aussehenden jungen Kerle umringten sie und drohten mit Lanzen und Äxten. Der Händler hatte nur wenige schlecht bewaffnete Diener bei sich, sah sich schon um seine Ware und seinen Gewinn gebracht und bejammerte sich, weil er seinem neuen Bekannten vertraut hatte. Doch Nelda, die auf ihren Reisen den Umgang mit Kriegsvolk jeder Sorte erlernt hatte, konnte um den Preis eines Kruges mit Wein von der Mosella
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