Die Germanin
eines: dass uns die Römer das Blut aussaugen!«
»Ich bezweifle, dass du irgendetwas begreifst!«, donnerte Segestes. »Zum Beispiel, dass mit den Römern Recht und Ordnung bei uns einziehen. Einer wie du fühlt sich nur in der Unordnung wohl. In dieser Finsternis, die hier seit Hunderten von Jahren herrscht. Wenn die Stämme sich gegenseitig ausrotten. Wenn Nachbarn die Nachbarn überfallen, wenn es Blutfehde zwischen den Sippen gibt…«
»Ich will nun mal wie die Väter leben!«, schrie Segithank, wobei er aufsprang und Segestes mit seinen blauen Augen anblitzte. »Ist das schlecht?«
»Ja, das ist schlecht! Die Väter lebten auf ihre Art, sie kannten es nicht anders – aber wir wissen es besser. Die Römer haben es uns gezeigt. Wo sie sich festgesetzt haben, herrscht Frieden zwischen den Stämmen. Aber das ist ja nichts für einen Schlagetot deiner Sorte, der nur darauf lauert, dass es irgendwo wieder losgeht!«
»Ich helfe nur, wenn ich gerufen werde.«
»Ich kenne deine Art zu helfen! Dörfer niederbrennen, Vieh stehlen, Beute machen. Bei jeder blutigen Fehde bist du zur Stelle. Nicht einmal die Götter haben davon eine Ahnung, aber du erfährst es. Dann ziehst du mit deiner Bande von Grünlingen los. Bis zu den Marsern, bis zu den Chauken! Wie oft habe ich es verboten, doch das kümmert dich nicht. Aber diesmal wirst du tun, was ich sage. Du und der ganze Haufen – ihr dient ab morgen im römischen Heer. Und dort wirst du erfahren, was das ist – Gehorsam!«
Die letzten Worte schrie Segestes Segithank nach, der nichts mehr erwiderte und unter aufreizendem Gelächter hinausrannte.
Nelda hatte die ganze Zeit hinter dem breiten Rücken einer Magd gestanden und sich nicht gerührt. Jetzt sah sie sich um und entdeckte Ramis, die in einer Ecke auf der Schlafbank kauerte.
»Was ist denn geschehen?« Sie flüsterte, um den immer noch polternden Vater nicht auf sich aufmerksam zu machen.
Ramis sprang auf und ergriff ihre Hand.
»Komm mit. Ich zeige dir etwas.«
Sie drückten sich an der Flechtwand entlang, durchquerten den Mittelgang und Ramis zog Nelda in den gegenüberliegenden Pferdestall. Ein alter, fast tauber Knecht war beim Ausmisten. Nelda sah gleich, dass ganz am Ende ein neues Pferd stand, ein Grauschimmel.
»Was geschehen ist?«, sagte Ramis. Die Wangen der rundlichen Vierzehnjährigen glühten, ihre Lider flackerten vor Aufregung. »Arminius war hier!«
»Was sagst du? Arminius? Ist das wahr?«
»Ja! Mit seinem Bruder und ein paar Römern. Im Hof hat er mit deinem Vater gestritten. Vielleicht ist dein Vater deshalb so wütend und fällt jetzt über die anderen her, die gar nichts getan haben.«
»Ach, warum war ich nicht hier!«, rief Nelda. »Warum? Ich habe doch so auf ihn…«
Ramis drückte ihr die Hand auf den Mund.
»Still! Du sollst es nicht wissen. Aber weil dein Vater so ungerecht gegen Segithank ist, verrate ich es dir. Das Pferd dort, die Stute… Arminius hat sie dir als Geschenk mitgebracht.«
»Wirklich?«
Nelda fiel Ramis um den Hals.
»Er hat es also nicht vergessen… die ganze Zeit nicht vergessen!«, stammelte sie. »Er hat an mich gedacht… Ich muss… muss meine neue Furi begrüßen.«
»Nein! Tu es nicht.« Ramis hielt Nelda, die davonstürzen wollte, am Hemd fest. »Wenn es der Knecht sieht, macht er sich seine Gedanken und meldet es deinem Vater. Warte, bis niemand mehr im Stall ist, aber sei vorsichtig.«
»Ja, du hast recht. Sieh nur… sie schaut mich an«
Tatsächlich blickte die Stute neugierig herüber und scharrte mit einem Huf. Glücklich lächelnd winkte Nelda ihr zu.
»Dein Vater wollte sie zuerst nicht annehmen«, sagte Ramis. »›Meine Tochter braucht keine Geschenke von dir, nimm sie wieder mit!‹ Na, dann hat er sie aber doch behalten. Für den Verlust, sagte er, den er damals hatte, an dem Arminius schuld war.«
»Arminius war nicht schuld daran! Oh, ihr Götter…«
Nelda brach in Tränen aus.
»Was hast du?«
»Er war hier… und ich… ich habe ihn nicht…«
»Er kommt noch ein weiteres Mal herauf.«
»Wann denn? Wann?«
»Schon morgen.«
»Morgen? Und kommt er meinetwegen?«
»Ach, was denkst du dir! Er hat einen Auftrag. Du hast ja gehört, es geht in den Krieg. Dein Vater soll dafür Männer aus seiner Gefolgschaft stellen. Da hat er Segithank ausgewählt, weil er ihn nicht leiden kann. Und die anderen sind alle Segithanks Freunde. Sie stritten, weil Arminius noch mehr Männer wollte. Aber dein Vater will nur diese acht
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