Die gesandte der Köingin Tess 2
stehen, dessen Laden noch nicht für die Nacht geschlossen worden war. Der Mond war hinter tief hängenden Wolken verborgen, die Regen androhten, und ich hielt den Blick auf die Lichter der Stadt gerichtet. Sie schien im Rauch von tausend Herdfeuern zu glühen. Die einzelnen Lichter verschwammen und erschienen wieder deutlich, als ich meine Tränen wegblinzelte. Aus dem Garten unter uns war ein Windstoß in den frühlingsgrünen Bäumen zu hören, dann nichts mehr.
Mich fror an dem offenen Fenster, und Duncans Hand fühlte sich warm an. Ich konnte ihn atmen hören und sehnte mich danach, seine Arme wieder um mich zu spüren. Aber ich hätte es nicht ertragen. Er ging wieder fort. Meine ganze Welt stürzte in sich zusammen. »Musst du wirklich gehen?«, fragte ich und fand meine eigene Stimme sehr dünn.
»Das weißt du doch.«
»Ja, ich weiß«, flüsterte ich, schloss die Augen und schluckte gegen den Kloß in meiner Kehle an. Seine Lippen streiften mein Ohr, als er flüsterte: »Ich werde versuchen, ihnen zu helfen, wenn ich kann. Wenn Kavenlow und Hauptmann Jeck kommen, um sie zu befreien.«
»Ich weiß«, wiederholte ich und lehnte den Kopf an seine Brust, um sein Herz schlagen zu hören. Ich hätte gleich mit ihm fortgehen sollen, als er mich zum ersten Mal darum gebeten hatte. Ich hätte Kapitän Borlett befehlen sollen, an der Insel vorbeizusegeln und trotz der Untiefen die Route nach Gelbspitz zu riskieren. Ich hätte niemals vorschlagen sollen, dass wir diesen widerlichen Mann auf unser Schiff einluden, mein wunderschönes Schiff, das jetzt als Wrack auf einer Sandbank lag. Und meine Schwester lag irgendwo hungrig in Fesseln. Mein Leben hatte sich so verdreht und verzerrt, dass nichts mehr davon übrig war.
»Wie ist es nur dazu gekommen?«, fragte ich und wischte mir mit dem Handrücken über die Nase.
»Ich weiß es nicht.« Ich spürte seine Stimme wie ein Grollen in mir. Er rührte sich nicht, und wir blieben einen Moment lang so stehen und spendeten einander Trost und Kraft. Mein Blick war auf die Lichter der Stadt unter uns gerichtet, und sie flackerten, als eine Böe von der Bucht herauf deutlich sichtbar durch die Straßen fegte. Der Zephir in meinem Kopf hörte sie kommen, und ich hielt den Atem an und zwang ihn, still zu sein. Mit einem letzten, aufgeregten Schnattern kam der Wind in meinem Kopf zur Ruhe.
»Ich muss gehen«, sagte er leise, drückte mich kurz an sich und ließ mich dann los. »Wenn ich nicht bald zurückkehre, werden sie Verdacht schöpfen.«
»Was wird aus dir?«, fragte ich leise und zügelte meine Sorge, damit der Wind mir nicht entwischte. »Was geschieht mit dir, wenn wir die beiden retten und die Piraten nichts als Sand auf diesem Wagen finden?«
Angst huschte über sein Gesicht, doch er verbarg sie rasch hinter einem verwegenen Grinsen, das ich leichter durchschaute als Quellwasser. »Mir passiert schon nichts«, log er. »Ich werde ja auf dem Schiff sein. Was könnte ich also mit einem leeren Wagen zu tun haben?«
»Aber sie werden wissen, dass du uns gesagt hast, wo sie an Land gegangen sind«, protestierte ich ängstlich. »Wenn Kapitän Rylan merkt, dass auf dem Wagen nichts ist, wird er wissen, dass du uns alles gesagt hast. Er wird dich umbringen!«
Duncan zog mich noch einmal an sich, damit ich die Angst in seinen Augen nicht sehen konnte. »Ich schleiche mich einfach davon«, erklärte er ruhig. »Kurz bevor ihr die beiden rettet.«
»Was, wenn das nicht geht?«
Stiefel klapperten scharf auf dem Fliesenboden, und ich hob den Kopf und entdeckte Jeck. In der Hand hielt er ein fest zusammengerolltes Pergament, und dieser grässliche Hut saß wieder auf seinem Kopf. Er begegnete meinem Blick, und als ich die Missbilligung in seinen Augen sah, musste ich gegen den Drang ankämpfen, Duncan von mir zu stoßen.
»Duncan«, sagte ich, nachdem Jeck um die nächste Ecke verschwunden war, »was, wenn du es nicht schaffst, dich davonzuschleichen? Was dann? Was passiert dann?« Mit dir? Mit uns?
Der Wind aus der Bucht erreichte nun den Palast, strömte leise über die Mauer, durch die Gärten und schlüpfte schließlich durch das Fenster, an dem wir standen. Er trug mir den Geruch von Fisch und Rauch zu, und eine Strähne, die sich aus meinem Knoten gelöst hatte, liebkoste meine Wange. Mit klopfendem Herzen sorgte ich dafür, dass der Zephir in meinem Kopf schwieg, um keinen Wirbelsturm heraufzubeschwören.
Duncan legte die Hände auf meine Schultern und schob
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