Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
der hohe gräfliche Herr sich doch zusammennehmen, was er sagt, als ob wir eine so feine Kunst nicht zu verstehn und eine so fürtreffliche Person, wie die Waserin, nicht zu ästimieren wüßten!“ Und dann sprudelte er hundert artige Lobsprüche hervor und Beweise des großen Ansehens, das sie genoß, und schloß endlich mit dem Lob eines jüngst entstandenen Kontrafetes: „Wie Ihr den gewissen Junker vor dem Lindentor gemalt — ein Meisterstück ist das, so Euch die großen Holländer kaum nachgetan hätten. Heilige Rägel, habt Ihr ihn herfigürt, den guten pflichtvollen Spitzkopf mit seiner bedenklichen Stirn und trübsinnigen Nasen — wahrlich, wie er leibt und lebt — oder besser gesagt ablebt, trotz seiner Vielgeschäftigkeit, maßen ihm das Blut nicht heiß und rot durch hundert Äderchen zu springen, wohl aber schwer und kühl den vorgezeigten Weg abzuwandeln scheint. Mit viel Kunst habt Ihr das getan, aber — mit Verlaub — auch mit einiger Malizen, sodaß ich mir geheimlich schwor, niemalen meinen Vollmond einer so wahr-als boshaftigen Hand anzuvertrauen. Dafür aber möcht’ ich mir nichts Liebers wünschen, als meine Frau Eheliebste von Euerm kunstvollen Pinsel verewigen lassen.“ Mit großer Lebhaftigkeit nahm er diesen plötzlich hervorgesprungenen Gedanken auf und spann ihn mit viel Begeisterung weiter bis zu der Bitte, Anna möchte bei ihnen bleiben, heroben in Regensberg, grad jetzt, und alsobald das Bildnis seiner viellieben Frauen in Angriff nehmen. Mit Jubel pflichtete ihm die Landvögtin bei, und da auch der Amtmann mit geschmeicheltem Lächeln seine Zustimmung gab, nahm Anna an, mit freudigem Herzklopfen; denn der Gedanke, etwelche Zeit in dieser freien und sonnigen Welt zu verbringen, war über die Maßen verlockend. Ihr Blick ging durchs Fenster, das zu ihrer Linken sich auftat, auf den freien Lägerberg hinaus; freundlich geschmiegt und kräftig getürmt stand er gegen den grünlichen Himmel. Wie die Sonne auf den sanft übergoldeten Wäldern lag, so mild, so liebevoll! Es war dieselbe Sonne, die ihr vom rückwärtigen Fenster her mit warmen Fingern über den Rücken tastete und ihr leise duftend durchs Haar schien. So wohl war ihr auf einmal, so warm und frei die Brust.
„Du solltest aus der Sonne rücken, Anna,“ sagte plötzlich Tante Regula mit vernehmlichem Flüstern, „man sieht sonsten zu gut, daß dein Haar eigentlich rot ist!“
Aber der Landvogt gab eine Lachsalve los. „Laßt der Sonnen die Freud, edle Pfarrerin, daß sie das Gold aus diesem sonderbarlichen Haar herfürzieht; rothaarig ist deshalben Eure schöne Nichte mit nichten. Sonst wird Euch ein Vergleich mit unserm lieben Herrn Vikar eines Bessern belehren.“
Er wies auf Herrn Weggler, der unten am Tisch stumm hinter einem langsam abnehmenden Turm von Eieröhrlein saß, deren Farbe mit seinem Schopf wetteiferte. Erschreckt sah der Jüngling, der plötzlich alle Blicke fühlte, auf, und während seine Hände hilflos nach den gelbroten Strähnen griffen, die das erglühende Gesicht einrahmten, stotterte er verlegen: „Am Kopf schon — aber — aber an den Beinen hab’ ich dann schwarze.“
Eine lautlose Stille folgte dieser wunderlichen Selbstverteidigung. Dann erhob sich die Landvögtin brüsk: „Ich denk’, wir gehen noch auf die Terrasse!“ Und mit zusammengezogenen Brauen und stolz zurückgeworfenem Kopf verließ sie aufgebracht den Saal. Ihr Eheherr folgte ihr auf dem Fuß, während sich auch die andern gemächlich aufmachten.
Als Anna über die kleine Treppe auf die Terrasse trat, sah sie, wie Frau Holzhalb mit erregtem Stampfen des kleinen Fußes auf ihren Mann einredete, der sie vergeblich zu begütigen suchte. „Da hast du es,“ rief sie mit schlecht gedämpfter Stimme, „und so etwas soll unsere Söhn erziehn, und dann wunderst dich, daß der Hansheinrich ein Wildfang, der Beat aber gar ein Schwärmer und Pietist wird? Schau den dort an, so einen sollten wir haben, dem fehlt’s auch nicht an Gelehrte, und ist dabei doch ein Weltmann und voller Kavalier.“ Sie wies nach Schlatter hinüber, der abgewandt, die Hand leicht in die Hüfte gestützt, an der äußersten Mauer lehnend eine elegante Silhouette in den hellen Himmel schnitt.
Anna schämte sich, daß ihr feines Ohr sie zum ungewollten Zeugen dieses Gespräches gemacht hatte, und da sie eben oben an der steilen Treppe, die in den Burggraben führte, das Estherlein erblickte, ging sie zu ihm hinüber. In trutziger Haltung stand das
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