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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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allweg frei von derlei Nöten!‘ und hat sich dann abgewandt und eins gepfiffen.“ Schlatter versuchte zu lächeln: „Weißt, er hat es noch nicht verwunden, der denkt immer noch an dich, es hat ihm bös zugesetzt selbigs Mal.“
    Anna wußte, daß Hans derlei nicht gern sagte und daß er es jetzt tat, um sich zu strafen; aber es berührte sie kaum. Sie sah stumm vor sich hin. Alles in ihr war unklar und weh, und wie nun das Pfarrhaus vor ihnen auftauchte und über dem schwarzen mächtigen Dach der Scheuer das neue Taubenhaus erglänzte, hell und lustig umflattert und alles mit soviel Traulichkeit, fühlte sie schmerzhaft, wie sie beide unnatürlich durch die sonnige Welt gingen, mit gequälten Herzen, und vom Sterben redeten.
    Aber unter der Türe des langen, wohlig gelagerten Pfarrhauses kam ihnen das frohe Leben entgegen: Enneli mit den beiden Kindern und neben ihr im hellen Sommerkleid das Estherlein.
    Anna erschrak, als sie das Mädchen hier fand, und sie fühlte, wie auch Schlatter bei seinem Anblick leise zusammenfuhr. Es sah auffallend weiß aus und älter als sonst — oder kam es nur daher, daß es neben der kleinen und rotwangigen Pfarrerin stand? Es hielt auch den Kopf so hoch mit unmutig aufeinander gepreßten Lippen und machte verschattete, grünliche Augen. Aber Enneli brachte die Sache ins Gleis, erzählte lachend, daß ihr das Jüngferlein gestern unerwartet ins Haus geflogen sei, wie so ein verscheuchter Vogel, und daß es ein wenig hier zu bleiben vorhabe. Eben jetzt hätte es zum See hinuntergehen und nach dem Casparli sehen wollen, dem Fischerbuben, ob er was gefangen fürs Essen, und da sie noch grad in der Küche zu tun habe und sie dabei nichts anderes, weder Hilfe noch Unterhaltung brauchen könne, wäre es ihr wohlanständig, wann sie das Mädchen begleiten wollten. So stiegen sie denn selbdritt den steilen Pfad hinunter nach dem See, und Anna fiel es auf, daß Schlatter plötzlich lebendiger wurde, fast fröhlich, und einmal hörte sie sogar das helle Jungenlachen an ihm, das sie lange nicht mehr vernommen hatte; aber es schnitt ihr seltsam ins Herz, sie wußte selbst nicht, warum. Das Estherlein jedoch blieb stumm und steif, und nur die schwarzen Locken tänzelten um sein Gesicht wie aufgeweckte Schlänglein.
    Als sie unten anlangten, besichtigte es den Fischkorb. „Du hast wenig gefangen,“ herrschte es den Buben an; „aber kein Wunder, wenn man so faul am flachen Ufer hockt! Dort hinaus solltest stehen, wenn was Rechts an die Angel kriegen willst!“ Und es wies auf einen schmalen, altersgrauen Steg, der etwas weiter unten in den See hinausgebaut war und einen langen, freischwebenden Balken über das Wasser streckte.
    Der Bub zog den Mund in die Breite: „Versucht Ihr’s, Jungfer, selb ist morsch und alt und die Stütze abgefault, das trägt keine Ente mehr; aber wenn Ihr mir’s vormacht, dann kann’s mir gleich sein.“
    „Gut!“ Das Mädchen warf den Kopf in den Nacken und schritt nach dem Steg hinüber. Aber Anna hielt sie fest: „Du wirst doch nicht,“ rief sie erzürnt, „das ist kindisch, hörst!“
    Da wandte sich das Estherlein nach ihr um und sah sie groß an mit einem eigentümlichen, schier überlegenen Lächeln. „Kindisch? So habt ihr mich immer genannt!“ Und warf den Kopf abermals zurück und schoß einen schillernden Blick nach Schlatter hinüber.
    Der aber stand da mit ganz schmalen weißen Augen, das Kinn vorgeschoben mit einem fremden, grausamen Zug. Anna erschrak, so hatte sie ihren Liebsten noch nie gesehen — und über dem Anblick vergaß sie einen Augenblick das Mädchen, und als sie sich wieder nach ihm umsah, stand es schon mitten auf dem Steg.
    Es wandte den Kopf nach ihnen zurück und lachte ein kurzes, übermütiges Lachen; dann schritt es langsam weiter auf den schmalen Balken hinaus, hoch aufgerichtet und mit ausgebreiteten Armen, wie ein Seiltänzer. Und Anna sah ihm nach, wie gebannt, und fühlte das Herz im Hals, daß sie weder sich regen noch einen Laut von sich geben konnte, und stand immer noch so da, als das Estherlein schon lautlos im Wasser verschwunden war und Schlatter, der fast gleichzeitig mit ihr in den See gestürzt, mit größter Anstrengung den leblosen Körper zum Ufer zwang. Und erst als das Mädchen schon neben ihr im Grase lag, schneeweiß und mit geschlossenen Augen, fand sie Bewußtsein und Willen wieder, daß sie neben ihm niederknien konnte und nach dem Herzschlag forschen, den sie auch alsobald mit

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