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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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schön, Lux, wir sehen uns ja und kennen eins des andern Gedanken, und die Erinnerungen, die nun reden … Weißt, hier hat es eigentlich angefangen!“
    Lukas preßte ihre Hand: „Für dich vielleicht, für mich viel früher.“ Sie sah ihn mit glücklichen Augen an, und während sie stumm weiterschritten und ihre Hände in leisem Druck und Gegendruck redeten, dachte sie immer und immer wieder über das Wunderbare nach und wie es hatte kommen können, daß dieser Jüngling da ihr nun auf einmal so lieb geworden — wie ein Bruder und anders noch, vielleicht noch mehr, und daß diese Liebe etwas so Schönes und Helles war, wie der klare Himmel, von dessen Widerschein die ganze Welt leuchtet und das tiefste Wasser erstrahlt.
    Vom Buchenwald her, dem sie sich langsam näherten, tönte der Französin reizendes Lachen. Lukas fuhr zusammen. „Daß die mitmußten mit ihrer lauten Fröhlichkeit und dem exagerierten Tun! Ah, ich möcht’ mit dir allein sein!“
    Aber Anna schüttelte den Kopf: „Ich bin so verguügt, daß Sibylla wieder froh ist — und dann — es ist schön neben der lauten Lustbarkeit unsere stille Freude, von der keiner weiß.“
    Lukas sah ihr ganz nahe in die Augen: „Möchtest du nicht allein sein mit mir, ganz allein auf einer menschenleeren Alp oder auf einer Insel im weiten Meer?“ Sie schaute ihn erstaunt an; es war etwas Heißes in seinem Blick, das ihr langsam das Blut in die Wangen trieb. Rasch löste sie ihre Finger aus seiner Hand: „Unsere Freundschaft ist schön und klar wie der Tag und darf sich dem hellen Tag und allen zeigen.“ Und leichtfüßig durchschritt sie die letzten Tannenreihen, die sie vom Buchenwald trennten.
    Vor der Grotte erwartete sie ein seltsames Schauspiel. Da der von herbstlichen Nebeln feuchte Waldboden den Mädchen keinen günstigen Sitz bot, hatte die Französin kurzweg angeordnet, daß die Kavaliere ihre Mäntelchen auf den Boden spreiteten als Teppich für die Demoisellen, und hatte ihnen als Entgelt dafür gestattet, sich dermaßen zu lagern, daß sie ihre Häupter im Schoß der Schönen betten konnten, und während der junge Morell sein blasses Gesicht selig und errötend in Sibyllas himmelblaues Kleid drückte, zog die rasche Französin Christophs widerstrebenden Flammenkopf in die Falten ihres blaßfarbenen Gewandes, ihm zugleich für seinen Mangel an Galanterie einen leisen Nasenstüber verabfolgend, so daß er sich lachend fügte.
    Der Anblick war Anna peinlich, und als sie nun von allen Seiten aufgefordert wurde, dem Beispiel der andern zu folgen, und Lukas sie fragend und dringlich anblickte, warf sie hochmütig den Kopf zurück: „Ihr habt vergessen, daß wir gekommen sind um zu arbeiten.“ Dann holte sie mit Lukas vom Bauernhaus herüber ihr Gerät, das unversehrt war, aber einen starken Geruch von Kuhstall und Käse an sich trug, den Anna nicht ohne Rührung wahrnahm, schlug ihr doch mit diesem Duft ein ganzer Schwall lieber Erinnerungen aus ihren Rüti-Kindertagen entgegen. Sie machte sich ans Werk, und mit Staunen betrachtete sie ihre frühere Skizze. Sie war besser, als sie geglaubt hatte, und ach, wie lieb sie das Blatt ansah! Ob wohl einer fühlte, was alles darin stand für sie?
    Lukas sah ihr über die Schulter: „Es ist schön,“ sagte er leise, und da wußte sie, daß es auch zu ihm dasselbe sprach. Wie köstlich war das, dieses Verstehen ohne Worte! Es wurde ihr jubelnd leicht ums Herz, während sie nun aufmerksam und voll Eifer ihre Arbeit fortsetzte und ergänzte, und wiederum versank die Welt davor, sodaß sie all das übermütige Treiben um sich nicht mehr gewahrte. Nur dieses Gefühl blieb ihr wie eine leise innige Melodie und führte ihre Hand, daß sie sicher und kühn wie in einer Bezauberung den Stift führte. Einmal trat die Französin vor die Grotte und suchte in einem Becherchen den niederfallenden Wasserstrahl aufzufassen. Zuerst war Anna unwillig aufgefahren, als ihr das Mädchen so plötzlich in den Blick trat; dann aber sah sie überrascht hin: Wie wundervoll das Gold des Haares vor der dunkeln Höhle stand und wie lebhaft die herbstlich geröteten Blätter der niederfallenden Ahornzweige ihm antworteten, und überhaupt die ganze reizende Gestalt im blassen Kleid zwischen den halberloschenen Glockenblumen! Das war schön — schön! Schöner konnte die Nymphe Egeria nicht sein. Anna durchzuckte es: Ja, das war das Bild, das sie malen mußte. Eine Reihe von Schäferstücken schwebte ihr vor, die sie bei Herrn Werner

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