Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Aber er preßte die beiden weißen Hände mit solcher Gewalt zwischen seine festen Finger, daß an ein Entrinnen nicht zu denken war.
„Oh, habt Ihr gewaltsame Tatzen und heiß!“ Anna lachte, dann aber fühlte sie, wie eine starke, seltsame Wärme über ihre Finger schlug und langsam nach der Handwurzel kroch. Und nun ging es plötzlich wie in einer glühenden Welle über den ganzen Körper und zog ihr das Herz in einem schmerzhaften Krampf zusammen, daß ihr der Atem verging.
In diesem Augenblick ließ Lukas ihre Hände los, jäh, als ob er sich daran gebrannt hätte. Anna sah ihn erschreckt an. Sein Gesicht war verändert, blaß, mit verschatteten Augen.
„Wie kann man auch, kalte Hände bei der Hitze,“ sagte er rau, schier zürnend; „das kommt von Euerm unsinnigen Leben, taugt eben doch nicht für das Frauenzimmer!“ Langsam wandte er sich und schritt schwerfällig voran und bohrte den gesenkten Kopf durch das Buschgewirr, ohne die Hände zu gebrauchen, sodaß ihm die Zweige von links und rechts ins Gesicht schlugen, und ohne sich nach Anna umzusehen, die sich tapfer durchs Dickicht arbeitete.
So war es lange ein stummes Wandern, auch dann noch, als das Gestrüpp sie entließ und ein ernstgeschlossener Tannenwald mit feuchtem Moosgeruch und kühlen dunkelgrünen Lichtern sie aufnahm; denn hier konnte man erst recht nicht sprechen, in dieser feierlichen Ruhe, die sich erhaben und süß und mit einer wohltuenden Frische um die heißen Schläfen legte.
Wie köstlich es sich wanderte über den weichen Grund hin mit kühl gebetteten Füßen und mit dem würzigen Tannenduft in der Brust. Ach, und irgendwo sang ein Pirol, weich und klar und mit dem gleichen goldenen Schmelz in der Stimme, den die verlorenen Sonnenlichter über die dunkeln Mooskissen warfen. Wie man es da auf einmal fühlte, mit einem holden, freudigen Schreck, was es heißt, jung sein und das Leben noch vor sich haben mit seinen dunkelgrünen Geheimnissen und güldenen Verheißungen, und was es heißt, selbander jung sein und den Widerschein der eigenen Gefühle im Auge des andern lesen!
Sie gingen wieder nebeneinander. Bald auf gemeinsamem Pfade, nahegerückt, daß ihre Arme sich berührten, bald auf verzweigten Weglein, die zwischen den schlanken schuppigen Stämmen sich grüßten und suchten wie Menschen, die ein Wille demselben Ziele zutreibt.
Als der Tann sich schloß und ein alter Buchenstand mit heller Kuppel frohmütig sich auftat, blieben sie beide unwillkürlich stehen und blickten aufatmend noch einmal die verschatteten Pfade zurück, als ob diese etwas Wundersames umschlössen, irgendein süßes Geheimnis, von dem man nicht reden konnte und das doch die Brust füllte.
Der Buchenwald lehnte an eine nicht sehr hohe Felswand. Eine tiefe Spalte lief senkrecht durch das Gestein und öffnete sich unten zu einer weiten grottenähnlichen Höhle, in die von oben mit silbernen Schleiern ein kleiner Staubbach hereinfiel, der sich am Grund in einem klaren grünumwucherten Wässerlein sammelte.
Anna blieb überrascht stehen: „Da kann ich mir die Nymphe Egeria nicht vorstellen.“
„Ich denke auch nicht,“ erwiderte Lukas mit verschmitztem Lächeln, „daß ihre Grotte so ausgesehen habe.“
„Aber warum führt Ihr mich alsdann her?“ Anna hlickte ihren Gefährten halb entrüstet an, aber er lachte weiter:
„Ist das etwa nicht schön und malenswert, Anna? Muß es denn jedenfalls das langweilige römische Frauenzimmer sein? Und gar der schwächliche König, der nicht auskommen kann ohne Weibesrat, was braucht Ihr den? Lohnt sich’s nicht, diesen lieblichen Ort zu malen und um seinetwillen irgendein holdes Wesen zu erfinden, etwan eine jagdmüde Diana, die des kühlen Quells sich freut, oder eine blumenstreuende Flora oder gar Venus mit ihren Liebeskindern? Denkt, wie diese sich an der grünen Herrlichkeit aufs anmutigste delektieren würden!“
Es war wohl nichts dagegen zu sagen. Da war man nun, und die Gelegenheit war schön, das ließ sich nicht bestreiten. Das rötliche, feuchtglänzende Gestein und die feinen Wasserschleier vor der dunkelgrünen Höhle, in denen sich die Sonnenstrahlen siebenfarbig brachen, und gar die zarten, hellgrünen Zweiglein, die vom Felsen niederhingen — und dann die Farne rings und die großen dunkelblauen und weißen Glockenblumen, alles übersprüht von den glitzernden Wasserperlen und von zahllosen Schmetterlingen umspielt — ja, es war schön! Anna vergaß darüber die erste Enttäuschung.
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