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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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du.
    Seufzend wandte sie sich nach dem Zimmer zurück. Trostlos auch hier, kahl und unbewohnt der dunkle Raum, und in den tiefen Ecken saß schon die Nacht. Sie fröstelte. Die schweren Kleider hingen feucht an ihr herunter. Das kam von der schlimmen Reis’ her; auch in den Wagen hinein war der emsige Regen gedrungen. Trockene Kleider taten not.
    Sie schritt über den schmalen Gang nach der Kammer hinüber, die aus zwei niedrigen Fenstern über das enge Nebengäßchen auf das Dächergewirr der Nachbarhäuser sah. Zwei schlichte Betten standen hintereinander an der Längswand. Da würde sie von nun an schlafen, mit Elisabeth zusammen, damit sie nicht allein war in ihrer Not — die Arme.
    Anna seufzte abermals und kniete dann zu dem schweren Koffer nieder, der am Fenster auf der weißen Diele stand. Sie schloß auf und schlug den Deckel zurück. Ein feiner Duft strömte ihr entgegen, der sich seltsam mit dem Dunst ihrer nassen Kleider mischte. Sie schloß die Augen und sog den süßen Wohlgeruch tiefatmend ein. Ah, wie alles wieder vor ihr stand: das hohe Gemach mit den ernsthaften Tiefen und den Bildern aus Purpur und Gold, und draußen der rote Abendhimmel weithin, weithin … Und nun die Musik, müd, traurig und doch voll sehnender Sucht; wie die zarten Töne sich hintasteten, schmerzlich süß, und sich verloren, einer nach dem andern, wie kleine goldhaarige Prinzessinnen, die mit gedämpften Schritten über tiefe gelbe Teppiche wandeln und die kühlen Händ aufs Herz pressen, daß es nicht also klopfe, und die so traurige Augen haben und weiße Wangen und die Lippen so rot. Oh, man mußte weinen, wann man sie hörte, diese Töne — und dann auf einmal der durchsichtige Wohlgeruch, und auf der Stirn ein leiser Kuß und die warme herrliche Stimme: „Liebes Herz, so vieles ahnst du, wann du erst sehen wirst — und du sollst sehen …“
    Anna öffnete die Augen. Die kahle Kammer und ihre Kleider naß und mit einem dicken Geruch! Sie fror … Vorbei, vorbei …
    Die Tür öffnete sich. Ein gemütlich rosiges Gesicht erschien. Anna sprang auf: „Esther!“ Und dann mußte sie lachen, wie sie die runde Gestalt umfing und die prallen Wangen küßte; sie war noch behaglicher geworden, seit sie sie zum letzten Mal gesehen, die Schwester.
    Auch die andere lachte: „Gut, daß du wieder da bist, altes Malheur. Oder muß ich nun wohl sagen: Hofmalheur?“ Sie schob Anna von sich und betrachtete sie angelegentlich: „Potz Plunder, siehst du allamodisch aus mit deiner neuen Coiffüre!“ Und sie zog die Schwester an den beiden Locken, die ihr aus den schweren Flechten hervor über die Schultern fielen: „Und wie das riecht herinnen, heilige Rägel, allweg wie in Salomonis Lied: Deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch Libanon.“
    „Das kommt von der Marquise, der französischen Dam, weißt, die auf Braunfels ist; als ich packte, hat sie mir ein klein Fläschchen von ihrem Parfüm dazugelegt — als ein Gedenken, wie sie sagte, bis ich sie wiederseh, dieweil nichts so sehr die Erinnerung reize wie der Geruch. Nun ist wohl ein Tröpflein ausgelaufen.“ Sie wandte sich wieder dem Koffer zu und nahm sorgfältig die Kleider heraus.
    Esther war ihr behilflich und betrachtete mit viel Vergnügen die mancherlei hübschen und neuen Dinge, die zutage kamen. Ein helles Seidenkleid, ein Paar bestickter Pantöffelchen, einen goldbetreßten Jagdhut und den winzigen Flacon legte sie apart. „Den Gerust da kannst allerdings beiseit’ legen,“ sagte sie lachend, „das verträgt sich nicht mit dem obrigkeitlichen Mandat, und auch das Wohlriechende fördersam aus den Kleidern lüften, ansonst ein hohe Nase Ärgernis darob nehmen könnte.“
    Anna nickte seufzend: „Ja, ja, das fängt nun wieder an mit den Mandaten und der Strenge und all dem Eingetanen.“ Sie nahm ein schlichtes Hauskleid zur Hand und begann sich umzuziehen.
    Esther betrachtete sie mitleidig: „Wärst wohl lieber dort gebliebem gelt? So plötzlich und mitten aus allem heraus und aus dem fürnehmen und schönen Leben in das Jammertal hier — kann’s begreifen, du Armes.“
    Aber Anna wehrte ab: „Nicht deshalb, das fürnehme Leben allein tut’s nicht, und lauter Lustbarkeit war’s auch nicht. Als das jung Gräflein starb vor einem Jahr, glaub’s mir, es waren trübe und herzbrechende Zeiten; aber der starke und hochstrebende Geist, die vielen Liebhaber der Wissenschaft und Kunst, so sich allda zusammenfinden, der Graf und Herr Morell und vor allem die

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