Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Marquise — eine Kraft gab das, ein Fürsichkommen! Wann ich hätte bleiben dürfen, ein Weniges noch, mit meiner Malerei — leicht hätt’ es gut werden können.“
Esther klopfte ihr begütigend die Wange: „Ist gut genug, ist lange gut genug, du verrühmtes Schwesterlein du; aber — was die Malerei angeht — in diesen Stücken wirst nun schon ein wenig bremsen müssen. Ist gar viel, was hier auf dich wartet, allenthalben bist nötig: im Haushalt — denn die Mutter, weißt ja schon, wie’s ist, wann den andern was fehlt, fällt sie erst recht zusammen, und die Maria, die kann der Onkel nimmer missen, ist auch nicht jünger geworden, der Alte, und die Lisabeth, die hat doch nur für eins mehr Kopf. Und dann grad für die Lisabeth müssen wir dich haben, daß ihr helfen kannst, jetzt, und sie trösten, später, und dann etwan auch pflegen. Die wird doch krank nachher; derenweg hält sie’s nimmer aus mit dem Ängsten und Beten und nicht Schlafen.“
Anna schrak leise zusammen: „Ich hab’ nicht gewußt, daß es so schlimm steht um den Johannes. Als er von Herborn wegging, für eine Erholung sei’s, meinten wir, und nun so.“
„O herrje,“ erwiderte Esther mit einem betrübten Zug im wohligen Gesicht, „der macht nimmer lang. Nun hat er so rote Flecken bekommen auf den Wangen, und da tun sie sich wunder was darauf zugut und reden von Gesundwerden, und sind doch allweg nichts anders als Kirchhofsrosen, und kein Vierteljahr mehr werden die blühen. Aber den Glauben muß man ihnen lassen, Cramern und der Lisabeth, daß sie nicht gänzlich verzweifeln.“
Mit hilfreichen Händen heftete sie Anna, der unter den ruhigen Worten der Schwester ein Schauer um den andern über die kalte Haut ging, das Kleid zusammen; da entdeckte sie auf dem bloßen Hals eine Goldkette. „Eja,“ rief sie entzückt, „ein gülden Kettemlein und gar mit einem Stein, einem katzgrünen! Wo hast dann das her?“
„Es ist ein Smaragd,“ sagte Anna ernsthaft. „Ich trag’ ihn immer auf mir; an meinem glücklichsten Tag hab’ ich den erhalten, und er soll mir auch fürderhin Glück bringen, so es Gottes Wille.“
„So, so,“ machte Esther vieldeutig und lachte Anna aus runden Augen erwartungsvoll an. „der glücklichste Tag? Kann man dir etwan gar felizitieren?“
Anna blickte einen Augenblick erstaunt, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf: „Nicht so, wie du meinst, Esther, nicht so! Das Kettemlein hat mir der Graf umgehängt vor dem ganzen Hof und allen Gästen an dem Abend, allda ich mein erst groß Bild, solches die gräfliche Jagdgesellschaft auf einem Ausflug im Wald, an einem schönen und lustigen Wasser darstellt, vorzeigte. Und der Graf hat mir schöne und nachdrucksame Worte gesagt, und die Marquise …“ Sie brach leicht errötend ab, indes Esther enttäuscht seufzte:
„Ach so, das ist es — schade, ich hätt’ mich so gefreut, wenn’s das ander gewesen wäre. Für die Mutter vorab. Die hat in alle Wege bishero kein Glück gehabt mit ihren Töchtern. Als ich Dietschin nahm, hat es ihr fast das Herz abgedrückt, daß er ein simpler Hutmachermeister und nicht aus eurer patrizischen Gesellschaft, und hat’s als ein Unglück eracht’, daß ich fürderhin eine Volante weniger an meinem Gerust haben sollt’ als ihr. Dann kam das schandbarlich Unglück mit der Maria, und nun stirbt der Johannes auch weg, auf den sie doch ihr ganzen Stolz und Hoffnung gesetzt. Ich hätt’ es ihr gönnen mögen, wenn sie nun noch eine lustige und standesmäßige Braut neben denen armen ledigen Wittiben hätte haben können. Und dir hätt’ ich’s auch wohl gönnen mögen. Schau. das mit deiner Kunst, das ist ja schon recht und mit dem Ruhm und Geldverdienen; aber das richtig, das wahr Glück für das Frauenzimmer liegt doch anderswo.“ Und während sie selbander zur Wohnstube hinunterstiegen, erzählte sie voller Munterkeit von ihren Kindern, von dem Estherlein, das nun schon ein schön groß Dirnlein geworden, von den zwei Jüngsten, die Anna noch nicht gesehen, daß sie nun mit dem Margineli das erste halb Dutzend abgeschlossen hätten und sich allbereits freuten, ein neues anzufangen. Und Anna hörte zu mit aufeinander gepreßten Lippen und staunte, daß man das Leben so einfach nehmen konnte und so geruhsam, ohne das Grauen seiner Abgründe zu spüren oder nach dem Glanz seiner Höhen zu lechzen, und ihr war, als ob sie mit der dunkeln Treppe Schritt für Schritt in eine seiner trüben Tiefen hinabstiege und als
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