Die Geschichte der Deutschen
Gefängnis. Eine wichtige Rolle spielen auch die Kampfblätter der Radikalen. Die Rote Fahne der Kommunisten und der Völkische Beobachter der Nationalsozialisten finden eine wachsende Leserschaft. Es wird viel geschrieben, endlos diskutiert und sich heftig amüsiert in dieser Republik. Klaus Mann hat seinem Roman über jene Jahre den Titel Der fromme Tanz gegeben. Es ist wohl eher ein Tanz auf dem Vulkan gewesen.
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|214| Die Totengräber der Republik
Denn der Schein trügt. Auch in den Jahren zwischen 1924 und dem Beginn der großen Wirtschaftskrise Ende 1929 fehlt der Weimarer Republik eine wirkliche Stabilität. Im Reichstag haben die bürgerlichen Parteien die Mehrheit. Ihre Haltung zum neuen demokratischen System schwankt zwischen scharfer Ablehnung und Duldung. Feindlich gegenüber der republikanischen Verfassung bleibt vor allem die konservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die von der Großindustrie und den preußischen Großgrundbesitzern unterstützt wird. Die Sozialdemokraten sind von Ende 1923, als sie das Kabinett Stresemann verlassen, bis 1928 in der Opposition. Die USPD hatte sich 1922 zwar wieder mit der Mehrheitssozialdemokratie vereinigt, aber etwa zwei Drittel der USPD-Mitglieder treten in die KPD ein. Wichtig allerdings ist, dass im größten Land der Republik, in Preußen, ein von dem Sozialdemokraten Otto Braun geführtes Kabinett regiert. Im Bündnis mit dem Zentrum gelingt es Braun, durch energische Abwehr der Radikalen, Preußen bis 1932 zu einem demokratischen Bollwerk zu machen.
1925 wird der ehemalige General des Kaisers, Paul von Hindenburg, zum neuen Reichspräsidenten gewählt. Möglich wird diese konservative Wende durch die Uneinigkeit im bürgerlichen Lager, das sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen kann, und das sture Verhalten der KPD, die ihren chancenlosen Vorsitzenden Ernst Thälmann ins Rennen schickt. Auch Gustav Stresemann setzt sich für Hindenburg ein. Der greise Präsident ist von einem kleinen konservativen Kreis umgeben, zu dem sein Sohn Oskar gehört und der seine Entscheidungen in den kommenden Jahren stark beeinflussen wird.
Besonders fatal für die künftige Entwicklung ist die starke Stellung, die die Weimarer Verfassung dem Reichspräsidenten einräumt. Er ist politisch nicht so machtlos wie der heutige Bundespräsident. Im Gegenteil: Der Verfassungsartikel 48 gibt dem Staatsoberhaupt die Möglichkeit, im Falle eines »Notstandes« durch Notverordnungen zu regieren. Wann aber ein »Notstand« eintritt, wie dieser Begriff überhaupt zu definieren ist, das lässt die Verfassung weitgehend offen. Jeder Amtsinhaber kann ihn so auslegen, wie es in sein politisches Konzept passt. Hindenburg wird diesen Artikel immer wieder anwenden, wenn der Reichstag sich nicht einigen kann oder er dessen Politik unterlaufen will. Auch Friedrich Ebert hat den Artikel 48 häufig in Anspruch genommen. Der Unterschied ist allerdings, dass Ebert Demokrat, Hindenburg dagegen ein Mann des Kaiserreiches und Anhänger eines autoritären Staatssystems ist. Seinen Schwur |215| auf die Verfassung hat er zwar zunächst formal nicht gebrochen. Aber im politischen Alltag sind er und seine Berater nicht neutral, wie es das hohe Amt verlangt, sie unterstützen vielmehr die Interessen des Großgrundbesitzes und der Reichswehr.
Eine weitere politische Waffe des Reichspräsidenten ist sein Recht, jederzeit den Reichstag aufzulösen und damit Neuwahlen zu erzwingen. Das Staatsoberhaupt ernennt oder entlässt zudem den Reichskanzler. Es ist also eine Zwei-Mächte-Verfassung, die sich die Republik gegeben hat: Ein politisch starker Reichspräsident steht dem – häufig zerstrittenen und sich selbst blockierenden – Reichstag gegenüber. Das kann nur gut gehen, solange beide Seiten das Gesamtwohl des Staates im Auge haben und ihr Handeln von demokratischen Grundsätzen bestimmt wird. Spätestens seit 1930 ist das nicht mehr der Fall. Hindenburg, mehr und mehr eine Marionette in den Händen von Männern, die einen Staatsstreich wollen, schaltet das gewählte Parlament mit Hilfe der Notverordnungen nach und nach aus.
In den Jahren der relativen Stabilität bleiben die radikalen Parteien im Reichstag bedeutungslos. Bis Ende 1929 findet die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) kaum ein Echo bei den Wählern. Die KPD erreicht im Schnitt nicht mehr als 10 Prozent. Aber auf den Straßen sieht es bald anders aus. Der Führer der NSDAP, Adolf Hitler,
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