Die Geschichte der Deutschen
Stolzes der Franzosen, übersieht diese Entwicklung oder vernachlässigt sie doch zumindest. Dabei wird sie einen wichtigen Anteil an seinem Untergang haben. 1812 geht seine ruhmreiche Grande Armée in Russlands eisigen Weiten unter. Wenige Monate später wechseln die Preußen die Seite, und eine begeisterte deutsche Jugend zieht in die Befreiungskriege. In der zweitägigen Völkerschlacht von Leipzig siegen die verbündeten Österreicher, Russen und Preußen. Napoleon hat ausgespielt. So klug dieser Eroberer auch seine politischen Karten einsetzt, so überlegen er als Feldherr die Armeen der europäischen Großmächte niedergerungen hat – in all diesen ruhmreichen Jahren will er nicht wahrhaben, dass ein neues Zeitalter angebrochen ist. Das nationale Pathos hat alle Völker mehr oder weniger stark erfasst. Er wird in den kommenden 150 Jahren die Bildung von wirtschaftlich mächtigen Großstaaten ermöglichen, aber gleichzeitig viel Unglück über Europa bringen. Im Kampf gegen Napoleon ist er jedoch noch unschuldig.
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Metternich schafft klare Verhältnisse – für den Adel und für Österreich
Napoleon muss abdanken und wird nach Sankt Helena verbannt. Als Sieger über den »Tyrannen« feiert Europa Zar Alexander I. Schließlich hat dieser Napoleons Armee beim Feldzug gegen Russland eine vernichtende Niederlage zugefügt und damit das Ende des Despoten eingeläutet. Die neue Machtverteilung müsste sich also künftig gen Osten orientieren, wäre da nicht Klemens Wenzel |121| Fürst von Metternich, der an Österreichs Spitze regiert. Metternich ist ein kluger, verschlagener und machtbewusster Diplomat. Lange zögert er, bis er Österreich an die Seite der Koalition gegen Napoleon stellt, um nicht doch noch die Siegesfeier zu verpassen. Bei der Suche der europäischen Diplomaten nach einer politischen Neuordnung wird er und nicht der Zar zur zentralen Gestalt der europäischen Politik. Er vermag es die Verhandlungen zwischen den Siegern über Napoleon so zu lenken, dass Österreich zur deutschen Führungsmacht aufsteigt.
Und was ist mit Preußen? Das von den französischen Eindringlingen arg gebeutelte Land führt Reformen durch. Unter den Kanzlern Karl vom und zum Stein und Karl August Hardenberg erhält es eine moderne Verwaltungsstruktur. Die preußischen Binnenzölle fallen, die Gewerbefreiheit wird eingeführt und der Handel kann sich endlich entfalten. Die Generäle Gerhard von Scharnhorst und August Graf Gneisenau organisieren das Heer neu. Da König Friedrich Wilhelm III. auf Drängen der Reformer gerade noch rechtzeitig die Seite wechselt und das ihm von Frankreich aufgezwungene Bündnis aufkündigt, gelingt es Preußen auf den nachnapoleonischen Kongressen seine Rechte auf die verlorenen Gebiete im Westen durchzusetzen. Der Versuch, auch Sachsen unter seine Herrschaft zu bringen scheitert allerdings.
Schließlich gehört noch England zu den Siegern. Der Herzog von Wellington hat in Spanien und dann bei der letzten Schlacht, die der Korse schlug, im belgischen Waterloo, den Franzosen militärisch erfolgreich widerstanden. Die Londoner Diplomaten versuchen bei den Friedensverhandlungen ein Mächtegleichgewicht auf dem Kontinent zu etablieren. Es soll verhindern, dass England erneut von einem so übermächtigen Gegner bedroht werden kann, wie es das Frankreich Napoleons gewesen ist.
In Deutschland macht sich unter den Patrioten, die gerade noch ihr Leben im Kampf gegen die Fremdherrschaft eingesetzt haben, schon bald große Enttäuschung breit. In der Stunde der höchsten Not versprechen die deutschen Fürsten ihren Untertanen neue Verfassungen. Sie hoffen damit den Kampfeswillen ihrer Völker in der entscheidenden letzten Auseinandersetzung mit Napoleon herauszufordern. Was auch gelingt. Nach dem Sieg aber wollen sie davon nichts mehr wissen. Im Gegenteil, unter der Führung von Metternich kehren sie zu den vorrevolutionären Machtverhältnissen zurück. So herrschen in den nächsten 40 Jahren in Deutschland recht finstere Zeiten. Es ist das Zeitalter der Restauration, des Versuchs, die alte politische und soziale Ordnung wieder aufzurichten.
|122| Klemens Wenzel Fürst von Metternich (1773–1859)
Bis zum Jahr 1848, in dem eine neue Revolution ihn aus dem Amt jagt, wird der österreichische Kanzler für die deutschen Liberalen zum Symbol fürstlicher Unterdrückung. Und das nicht ohne Grund. Geht es nach Metternich, sollen die Fürstenregierungen undurchdringliche Dämme
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