Die Geschichte eines Sommers
ihn von Neuem etwas an und blickte hinaus. Nirgendwo regte sich etwas.
Das musste er sich doch mal genauer ansehen. Er ging zur Tür und wollte sie aufstoßen, doch sie ließ sich nicht aufstoßen. Er war eingesperrt. Was eines der besten oder eins der schlimmsten Dinge sein könnte, die ihm je passiert waren, da war er sich noch nicht so sicher.
Plötzlich musste er pinkeln, aber die zur Bar gehörige Toilette befand sich an der Außenseite des Hauses. Manche Männer wären jetzt einfach hinter die Theke gegangen und hätten in das Spülbecken gepinkelt, und auch Bootsie hätte das vielleicht getan, wäre es das Spülbecken von sonst wem gewesen, doch dieses hier gehörte seinen Freunden. Er konnte doch nicht einfach in das Spülbecken der Moses pinkeln, wo die all die Jahre immer so gut zu ihm gewesen waren. Außerdem hatte er Hunger. Also probierte er die andere Tür, die ins Haus führte, und stellte fest, dass er doch nicht eingesperrt war.
Er trat ins Haus.
Das Badezimmer war leicht zu finden, genauso wie etwas zu essen. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Schinken und Brötchen, der mit einem Küchentuch abgedeckt war. Bootsie konnte sich nicht vorstellen, dass Calla etwas dagegen haben würde, wenn er sich bediente. Während er aß, hielten vor dem Haus mehrere Autos an und fuhren dann wieder weg. Erneut wunderte er sich, was hier bloß los war. Sein Verstand war zwar immer noch etwas benebelt, funktionierte aber inzwischen immerhin so gut, dass ihm klar wurde, dass irgendetwas passiert sein musste. Vielleicht sogar irgendetwas Schlimmes.
Er machte sich auf die Suche nach Antworten und stellte fest, dass der Rest des Hauses ebenso ausgestorben war wie die Bar und die Küche. Außerdem fand er heraus, dass die Tür zwischen Wohnzimmer und Laden ebenso wenig abgeschlossen war wie die zwischen Küche und Bar.
Er ging in den Laden.
Und siehe da, kaum stand er hinter dem Tresen, hielt ein weiteres Auto an. Da er wusste, wie wichtig es der Familie Moses war, niemals zu schließen, was auch immer passierte, ging Bootsie zur Tür und öffnete den Laden.
Joy Beekman, die immer zur Stelle war und sich um alles kümmerte, wenn irgendwo in der Gemeinde eine Tragödie passiert war, kam herein. Sie brachte eine Kasserolle mit und sagte, sie sei ja so froh, dass jemand da war, da sie den Hühnchenauflauf nicht vor der Tür hätte stehen lassen wollen, wo er verderben könnte. Aber sie habe unbedingt etwas vorbeibringen wollen, um den Moses zu zeigen, dass sie an sie dachte.
»Sie sollen wissen, dass wir mit unseren Herzen bei ihnen sind und für sie beten«, sagte sie. »Es ist einfach schrecklich, wenn in einer Familie so etwas geschieht und niemand auf die Idee kommt, etwas für die anderen zu kochen.«
Bootsie war klar, dass er recht gehabt hatte und tatsächlich etwas passiert war. Da er immer noch nicht wusste, was, das aber nur ungern zugeben wollte, stellte er die einzig naheliegende Frage.
»Haben Sie denn was Neues gehört?«
Joy schüttelte betrübt den Kopf.
»Nichts, was Sie nicht bereits wüssten. Bloß dass Toy heute Morgen diesen furchtbaren Jagdunfall gehabt hat und sie nicht wissen, ob er durchkommt.«
Bootsie fühlte sich plötzlich wie betäubt.
»Und wenn er stirbt«, fuhr Joy fort, »dann hoffe ich bloß, dass sie Scotty Dumas wegen Totschlag vor Gericht stellen und ihm seinen Jagdschein abnehmen.«
Nachdem Joy wieder gegangen war, betraten immer mehr Leute den Laden. Manche wollten einkaufen, manche ihr Mitgefühl zum Ausdruck bringen, und fast alle brachten etwas zu essen mit – Kuchen, Pasteten und wer weiß was noch. Jede Frau hatte ihre persönliche Spezialität zubereitet. Da Bootsie nicht wusste, was er mit dem ganzen Essen machen sollte, ließ er alles einfach auf der Theke stehen, bis die Frauen begannen, es an ihm vorbei ins Haus zu tragen.
Bootsie kümmerte sich um die Kunden, bedankte sich bei allen dafür, dass sie so gute Nachbarn waren, und erklärte, er würde Miz Calla sagen, sie wären da gewesen. Irgendwann trat Phyllis, die Frau von Millard Hempstead, in den Laden und bot an, sich um den Haushalt zu kümmern, da wahrscheinlich nun den ganzen weiteren Abend lang Leute kommen und gehen würden, und man wisse ja, wie schnell sich dann das Geschirr stapele. Sie erzählte, dass niemand mehr ins Wartezimmer im Krankenhaus hineingelassen werde, um auch nur zu fragen, wie es Toy gehe, weil bereits so viele Leute da wären, dass sie dicht gedrängt wie Ölsardinen
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