Die Geschichte eines Sommers
stünden.
Am frühen Abend beschloss Bootsie, dass man die Moses-Tradition genauso gut mit dem Schließen des einen und mit dem Öffnen des anderen Geschäfts wahren könne. Also machte er den Laden zu und ging durchs Haus auf die andere Seite. Dabei nickte er allen möglichen Leuten zu und unterhielt sich mit ihnen. Für jemanden, der sich zwei Tage lang nicht gewaschen und die letzte Nacht auf dem Fußboden einer Bar verbracht hatte, war er ein äußerst liebenswürdiger Gastgeber. Phyllis reichte ihm einen Teller voller Essen und sagte, wie anständig es von ihm sei, dass er der Familie Moses aushelfe. Bootsie meinte, das sei doch das Mindeste, was er tun könne.
Da niemand wusste, wo der Schlüssel für die Außentür vom »Never Closes« aufbewahrt wurde, öffnete Bootsie die Bar, indem er die Küchentür mit einem Stuhl feststellte und den Leuten sagte, sie könnten auf Vertrauensbasis trinken. Frauen, die noch nie eine Bar von innen gesehen hatten, warfen im Vorübergehen vorsichtige Blicke hinein, und etliche Männer nahmen Bootsies Angebot an.
Die Jukebox blieb an diesem Abend jedoch stumm. Auch getanzt und laut gelacht wurde nicht. Alle unterhielten und bewegten sich leise, während sie auf Neuigkeiten über den Zustand von Toy Moses warteten.
31
Die Operation war schwierig und dauerte mehrere Stunden. Laut Doc Bismark, der ins Wartezimmer kam, um die Familie über deren Verlauf zu unterrichten, würde Toy mindestens einen Monat lang im Krankenhaus bleiben müssen und anschließend noch ein bis zwei Monate zu Hause brauchen, um wieder komplett gesund zu werden. Bernice Moses weinte. Anscheinend vor Freude.
Calla hätte fast aufgeschrien. Ihr Sohn würde leben! Ihre anderen Söhne umarmten sie und sagten, sie hätten doch gewusst, dass der alte Sack zu zäh sei, um sich von einer .22er Kugel fertigmachen zu lassen. Dann umarmte der Rest der Familie Calla ebenfalls und erklärte ihr, dass Gott in seiner Güte ihre Gebete erhört habe. Calla stimmte allen zu.
Nachdem Doc Bismark sich verabschiedet hatte, ging die Familie zu den Männern hinüber, die Toy ins Krankenhaus gebracht hatten, und bedankte sich überschwänglich bei ihnen.
»Der Doc meint, ihr hättet ihn gerade noch rechtzeitig hergebracht«, sagte Sid Moses. »Ein paar Minuten später, und er wäre nicht mehr zu retten gewesen.«
Wieder begann sich Scotty dafür zu entschuldigen, dass er Toy angeschossen hatte, doch die Familie Moses wollte nichts davon hören. Sie sagten ihm, er solle aufhören, sich Vorwürfe zu machen, und überhaupt sollten sie jetzt alle drei nach Hause gehen und sich ausruhen. Schließlich luden sie sie noch ein, irgendwann später einmal zum Abendessen vorbeizukommen, und die Einladung galt auch für Ras Ballenger. Dem einen oder anderen von ihnen kam zwar der Gedanke, dass es peinlich werden könnte, wenn dieser Mann seinem davongelaufenen Sohn bei ihnen am Tisch gegenübersaß oder sich womöglich weigern würde, das Haus ohne den Jungen zu verlassen, aber dann wurden die Bedenken als unwürdig abgetan. Vielleicht hatte der Verlust seines Sohnes ja schon dazu geführt, dass er sich ernsthaft Gedanken über sich selbst und sein Verhalten gemacht hatte. Vielleicht hatte Ras Ballenger sich ja geändert.
Tante Nicey war eine kleine, vollschlanke Frau mit vielen Grübchen, aber ihr Haus war der schlimmste Ort der Welt für ein Kind. Überall lagen gestärkte Deckchen herum, und es gab zahlreiche Dinge, die sie selbst gebastelt hatte, Lampen aus Pressglas und allerliebste kleine Bonbonschalen, allerdings ohne Bonbons.
Swan, Noble, Bienville und Blade kauerten auf dem Sofa. Sie hatten Angst aufzuhören, an Toy zu denken, weil er dann sterben könnte, und sie hatten Angst, sich zu bewegen, weil sie dann etwas kaputt machen könnten. Lovey, die sie immer noch nicht besonders mochten, erklärte ihnen, was sie alles nicht anfassen durften, dabei wollten sie ja auch gar nichts anfassen.
Alle paar Minuten fragten sie Tante Nicey, ob sie nicht noch einmal im Krankenhaus anrufen könne, um sich zu erkundigen, wie es Onkel Toy gehe, doch sie meinte, wenn sie diese Leute dort verrückt mache, würde das Toy auch nichts nützen. Außerdem würde Sid sich melden, sobald er etwas wüsste.
Dann forderte sie die Kinder auf, sich um den Esstisch herumzusetzen, und stellte eine große, mit Filz überzogene Tafel auf. In der Kirche hatte sie noch eine weitere Tafel, doch diese hier benutzte sie zu Hause, wenn ihre Sonntagsschüler zu
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