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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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– kamen. Als er den Bach erreichte, entdeckte er zwei Männer, die gerade ins Wasser stiefelten. Einer von ihnen war Millard Hempstead, und er war kreidebleich.
    »Allmächtiger Gott, Scotty«, sagte er gerade, »ich glaube, du hast ihn umgebracht!«
    Darauf erwiderte Scotty, er glaube nicht, dass Toy tot sei, und Millard antwortete, bei so viel Blut, wie da im Wasser sei, müsse er wohl tot sein. Ras Ballenger ging zu ihnen und tat, was jeder gute Nachbar in so einer Situation tun würde. Er bot ihnen an zu helfen, den armen Mann zum Arzt zu bringen.
    Toy hörte nicht gerade die Engel singen, doch einmal glaubte er, einen Engel seinen Namen rufen zu hören. Bei den starken Schmerzen hätte er auch nichts dagegen gehabt, wenn der Engel ihn aufgefordert hätte, sein Lebenslicht auszuhauchen.
    Die Erinnerung an die Fahrt in die Stadt wurde für ihn größtenteils von einem blutigen Schleier überlagert. Seine Kleidung war blutdurchtränkt, und auch im Mund schmeckte er Blut, wenn er mühsam zu atmen versuchte. Die Kugel hatte einen Lungenflügel erwischt. Daran gab es keinen Zweifel. Und dass er sehr schnell Blut verlor, war ihm ebenfalls klar.
    Dumpf erinnerte er sich an die Männer, die ihn aus dem Bach gezogen, ihn laufend und stolpernd getragen und sich alles Mögliche zugerufen hatten. Mein Truck steht oben auf dem Hügel … Wir legen ihn hinten rein, und einer setzt sich zu ihm und hält ihn fest … Wenn wir ihn in die Stadt kriegen, bevor er verblutet, wär’ das ein Wunder … Verdammt, warum fährt denn dieser Truck nicht schneller …
    Die Männer, die ihn gerettet hatten. Millard und Scotty und Ras Ballenger – ausgerechnet der. Toy kam nicht von dem Gedanken los, dass Ras auf ihn geschossen haben könnte, aber es war Scotty, der sich immer wieder bei ihm entschuldigte, zumindest glaubte er, dass es Scotty war. Jedes Geräusch schien aus weiter Ferne zu kommen, drei Stimmen vermischten sich zu einer, und dann war da noch ein leises gurgelndes Geräusch, das er nicht zuordnen konnte, bis er merkte, dass er selbst es von sich gab. Danach hatte er das Gefühl, über den Männern zu schweben, und während er auf sie hinabblickte, dachte er, er sollte ihnen raten, langsamer zu fahren und die Sache gemächlich anzugehen. Das Leben war zu kostbar, um zu hetzen.
    Sämtliche Erwachsenen der Familie Moses verbrachten den Tag in Magnolia im Krankenhaus – bis auf Tante Nicey, die angeboten hatte, die Kinder zu sich zu nehmen. Swan, Noble, Bienville und Blade waren außer sich vor Kummer und bettelten, mit ins Krankenhaus kommen zu dürfen, um da zu sein, wenn Onkel Toy aus dem Operationssaal kam, doch Samuel wollte nichts davon wissen.
    »Ihr könnt ihn in den nächsten Tagen besuchen«, versprach er, »sobald sich Toys Zustand stabilisiert hat.« Er sagte nicht »falls«, er sagte »sobald«.
    »Aber er muss doch wissen, dass wir da sind!«, jammerte Swan. »Wir sind doch diejenigen, die ihn am meisten lieb haben!«
    Calla hatte zwar keine Ahnung, woher das Kind solche Weisheiten nahm, doch die Worte trieben ihr die Tränen in die Augen. Sie umarmte Swan und die drei Jungen – alle vier auf einmal.
    »Damit hast du aber nun wirklich recht«, sagte sie. Bernice stand direkt neben ihr und sah schön und beleidigt aus. Calla war das egal. Sie war noch nicht fertig.
    »Jeder auf dieser Welt muss wissen, dass ihn jemand lieb hat, und ihr vier Kinder habt eurem Onkel Toy da sicherlich etwas gegeben, das er bisher viel zu wenig bekommen hat.« Das saß. »Aber jetzt seid schön brav und geht zu Tante Nicey. Ich werde Toy sagen, dass er stolz auf euch sein kann.«
    Also gingen sie zu Tante Nicey.
    Als Bootsie Phillips gegen Mittag wieder zu sich kam, war kein einziges Geräusch um ihn herum zu hören. Er konnte sich nicht vorstellen, was passiert war, zum Teufel. Da lag er auf dem Fußboden, zugedeckt mit einem alten, muffigen Mantel, und niemand war da, der ihm einen Drink servieren konnte.
    Also schenkte er sich selbst einen ein. Und dann noch einen. Und noch einen. Beim dritten Drink begann er sich zu fragen, wo Toy nur bleiben mochte. Der ging zwar schon mal für ein paar Minuten in die Nachtluft hinaus, wenn in der Bar nicht viel zu tun war, aber das waren jetzt doch mehr als nur ein paar Minuten gewesen.
    Bootsie schlenderte zum Fenster und hob den Vorhang ein kleines Stück an. Das grelle Tageslicht, wo er doch auf Dunkelheit gefasst gewesen war, machte ihn fast blind. Er ließ den Vorhang fallen, dann hob er

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