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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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in den Pferch und betrat den Hühnerstall, wo sie eine Metalltonne öffnete, die in einer Ecke stand, eine Kaffeedose mit gehacktem Mais füllte und damit dann auf den Hühnerhof ging. Sie wollte den Tieren gerade die erste Hand voll Mais zuwerfen, als sie das mitleiderregendste Geräusch auf der ganzen Welt hörte. Das Maunzen eines Kätzchens.
    Oma Calla hatte nie eine Katze gehalten. Sie sagte immer, es gäbe genügend Viecher, die ihr Sorgen bereiteten, von Habichten bis zu Wieseln, da bräuchte sie nicht auch noch eine Katze, die sich ihre Küken schnappte – wenn es mal welche gab – und diese so lange im Mund hin und her schleuderte, bis sie tot waren. Deshalb hatte es auf der Farm bisher nie eine Katze gegeben.
    Aber nun war eine hier. Swan konnte sie hören.
    Obwohl sie sie hörte, konnte sie sie, als sie sich umblickte, nirgendwo sehen. Also machte sie sich auf die Suche vor dem Hühnerhof, dessen Tor sie weit offen stehen ließ. Dann ging sie hinter den Hof, ohne zu merken, dass die Hühner ihr folgten, weil sie hungrig waren.
    Das Kätzchen – flauschig, grau und hilfsbedürftig – versteckte sich unter einem Haufen Gestrüpp, den Samuel noch nicht verbrannt hatte, weil es in letzter Zeit zu windig gewesen war. Swan musste auf dem Bauch kriechen, um mit der Hand weit genug unter das Gestrüpp zu reichen. Sie wusste, dass dort Schlangen sein konnten, war aber wild entschlossen, das Kätzchen zu retten.
    Was ihr auch gelang. Sie zog es hervor und betrachtete es staunend, als sie erneut dieses Geräusch hörte. Noch ein Kätzchen!
    Aber natürlich musste da mehr als nur eins sein. Irgendjemand musste einen ganzen Wurf ausgesetzt haben, und dieses eine Kätzchen war von den anderen getrennt worden.
    Swan ging am Zaun entlang und folgte immer dem Geräusch, bis sie es sah. Es saß im Unkraut und sah jämmerlich aus. Sie fing auch dieses Kätzchen ein, dann stöberte sie weiter, bis sie im ersten Dickicht ein weiteres Kätzchen fand. Und nun hörte sie noch mehr Kätzchen maunzen. Im Wald.
    Swan und ihre Brüder wussten ganz genau, wie weit sie sich vom Haus entfernen durften. Eigentlich sollten sie immer in Rufweite bleiben. Also redete Swan sich ein, dass der Wald nicht völlig außer Rufweite war. Rief jemand aus dem Haus oder vom Hof laut genug, dann würde sie ihn hören. Sie fragte sich zwar nicht, ob jemand sie hören würde, wenn sie rief, aber sie hatte ja auch nicht vor, irgendwelchen Lärm zu machen, der die Kätzchen verscheuchen könnte.
    Die Idee, dass sie vielleicht laut um Hilfe schreien müsste und es nicht könnte, kam ihr überhaupt nicht. Doch man kriegt keinen einzigen Ton raus, wenn einem urplötzlich ein Jutesack über den Kopf geworfen wird, den jemand in Windeseile mit einem langen Stoffstreifen über deinem Mund festzurrt. Und wenn man dann auch noch in rasendem Tempo durch den Wald geschleppt wird, dann weiß man genau, dass man sterben wird.
    Willadee war nicht gerade begeistert, als sie nach Hause kam und feststellen musste, dass die Flammen unter den Töpfen mit Erbsen und Rutenkohl so klein gestellt waren, dass die Gemüse nicht mal köchelten. Sie musste Toy etwas zu essen machen, bevor er die Bar öffnete, und hätte auch gerne das Essen für Samuel fertig gehabt, wenn er vom Feld zurückkam, doch nun würden gleich zwei hungrige Männer in die Küche kommen, und es stand noch nichts auf dem Tisch.
    Als sie auf den Hof ging und nach Swan rief, wäre sie beinah über Calla gestolpert, die schnaufend hinter etwa einem halben Dutzend verstörter Hennen herlief, die in alle Richtungen auseinanderstoben. Calla wedelte mit ihrer Schürze und rief: »Ksch! Ksch! Ksch!«
    »Mama, was machst du denn da?«, rief Willadee.
    »Meine Hühner«, presste Calla mühsam hervor, »waren auf der Straße. Donna Furlough hat gerade eins von den Plymouth Rocks überfahren.«
    Donna hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen wegen des Huhns. Sobald sie gemerkt hatte, was passiert war, war sie mit dem – für sie – neuen Chevy auf den Hof gefegt und hatte so scharf gebremst, dass das Zu-verkaufen-Schild aus dem Fenster gefallen war. Nun lief sie händeringend hinter Calla her.
    »Das hab ich nicht gewollt«, jammerte Donna immer wieder. »Oh, Miz Calla. Es tut mir ja so leid.«
    Calla, die nie jemanden verletzen wollte – und schon gar nicht Donna, die mit einem Mann wie Calvin geschlagen war –, riss sich zusammen und sagte ihr, sie solle sich nicht so aufregen, es sei doch schließlich nur ein

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