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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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Normalerweise machte es ihn eher wütend, wenn sie unaufgefordert redete.
    Der Speck drohte anzubrennen, also drehte sie ihn rasch um und drückte die Scheiben mit dem Pfannenwender flach.
    »Nun ja«, sagte sie, »ich nehm an, dass ich still war, weil ich geschlafen hab.«
    Ras lächelte. Lächelte . Als hätte sie gerade das Zauberwort ausgesprochen.
    »Ich glaub, du hast da was falsch verstanden. Du warst still, während ich geschlafen hab.«
    Sie runzelte die Stirn. Diese ganze Sache war ihr nicht geheuer. In was für einen Treibsand sie auch immer geraten war, sie würde sich nicht mehr daraus befreien können. Wenn man in Treibsand gerät und nichts tut, versinkt man. Wenn man aber versucht, sich zu retten, versinkt man nur noch schneller.
    »Ich hab keinen Schimmer, wovon du redest«, sagte sie aufbrausend. Am besten schnell versinken und alles hinter sich bringen.
    »Vielleicht bist du ja im Schlaf gewandelt?«, sagte Ras. »Manchmal tun die Leute beim Schlafwandeln Dinge, die sie bedauern, wenn sie aufwachen.«
    Geraldine schüttelte den Kopf. Sie verstand überhaupt nichts mehr.
    »Falls ich in meinem Leben je im Schlaf gewandelt bin, dann weiß ich nichts davon.« Sie wollte entschieden klingen, aber ihre Worte waren zögernd, als ob sie sich nicht sicher wäre.
    Ras fuhr mit der Zunge in seinem Mund herum, drückte sie gegen eine Wange, sodass nach außen eine Beule entstand, die hin und her wackelte. Geraldine spürte ein wahnsinniges Bedürfnis zu lachen, tat es aber nicht. So, wie Ras sie ansah, als sei sie tatsächlich eine Maus und er eine Katze, die jeden Moment zuschlagen konnte, wäre es sicher keine sehr gute Idee zu lachen.
    Sie nahm eine Papiertüte aus dem Schrank unter dem Spülbecken und legte sie auf einen Teller, um damit das Fett von dem Speck aufzusaugen, den sie nun von der Pfanne auf den Teller schob.
    »Also gut«, sagte sie und gab auf. »Was hab ich getan?«
    »Du erinnerst dich also nicht?«
    »Ich erinnere mich daran, dass ich ins Bett gegangen bin.«
    »Du erinnerst dich aber nicht, wie du wieder aufgestanden bist?«
    Sie seufzte. Das wurde wirklich immer merkwürdiger. »Ich bin vor zwanzig Minuten aufgestanden. Natürlich erinnere ich mich daran.« Sie trug den Teller zu ihm hinüber und stellte ihn auf den Tisch. »Sagst du mir nun endlich, was ich getan hab?«
    »Nein, du wirst es mir sagen.« Er nahm sich eine Scheibe Speck, kaute nachdenklich darauf herum und lächelte wieder. »Und da ich kein Pferd zu trainieren hab, hab ich den ganzen Tag Zeit, um zu warten.«

18
    Im Traum lief Blade am Ufer des Bachs entlang, der von der Farm seines Daddys zur Rückseite des Moses-Hauses führte. Die Dornensträucher am Rande des Pfads griffen immer wieder nach ihm, schlangen sich um seine Knöchel und wuchsen blitzschnell seine Beine hinauf. Er spürte, dass sich die spitzen Dornen wie Angelhaken festkrallten, und wollte stehen bleiben, damit sie nicht noch tiefer in seine Haut drangen. Aber er konnte nicht stehen bleiben, weil ein großer Habicht über ihm schwebte, er war so riesig, wie er noch nie einen gesehen hatte. Der Raubvogel würde sich ihn schnappen, liefe er auch nur ein kleines bisschen langsamer, aber vermutlich würde er ihn sich sowieso schnappen, egal wie schnell er lief.
    Blade hatte sich noch nie so klein gefühlt. Er war bestimmt nicht größer als ein Kaninchen.
    Der Habicht stieß nach unten, die Klauen ausgestreckt wie lange, gebogene Messer. Blade wollte nicht nach oben blicken, konnte sich aber gegen den Drang nicht wehren. Als er hinschaute, sah er das Gesicht des Habichts, sah es klar und deutlich vor sich und wünschte, er hätte es nicht gesehen.
    Es war sein Daddy.
    Blade schrie, doch kein Ton war zu hören, nur erdrückende Stille. Er mühte sich immer mehr, sein Schrei drang tief aus seinen Eingeweiden heraus. Hilflos und ohne jede Hoffnung explodierte sein Inneres lautlos. Kaninchen können nicht schreien.
    Der Habicht lachte ein raues, gehässiges Lachen und stieß dann noch tiefer herab. Blade schrie erneut, und diesmal war etwas zu hören. Schreie, die die Luft zerrissen.
    Blade erwachte schlagartig und richtete sich erschrocken auf. Sein Herz hämmerte. Er war so erleichtert, dass er am liebsten geweint hätte, weil der Alptraum vorbei war. Aber dann erkannte er, dass er überhaupt nicht vorbei war, sondern gerade erst begann.
    Blue war ebenfalls aufgewacht. Er lag schniefend da und hielt das uringetränkte Laken umklammert. Blade sagte ihm, er

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