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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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solle still sein, und kroch aus dem Bett.
    Die Schreie, die aus der Küche gekommen waren, endeten abrupt. Aber das nächste Geräusch war noch schlimmer.
    Ras hatte Geraldine am Hals gepackt und bog sie so weit nach hinten über das Spülbecken, bis ihr Gesicht direkt unter dem Wasserhahn war. Während sie versuchte zu reden, schluckte sie Wasser, das dann in ihre Lunge drang, sodass sie nur noch ein Gurgeln zustande brachte.
    Ras riss sie hoch und lehnte sich zur Seite, während sie hustete und würgte und spuckte. Noch immer hielt er ihren Hals gepackt. Geraldine versuchte erst gar nicht zu entkommen. Es war sowieso zwecklos.
    »Was macht dein Gedächtnis?«, fragte Ras.
    Sie hustete und schüttelte den Kopf.
    »Das Pferd«, sagte Ras ganz geduldig. »Was hast du mit dem Pferd gemacht?«
    Inzwischen war Blade in die Küche getreten. Seine Beine knickten ihm ein. Hier ging es um Snowman! Blade hatte geglaubt, dass er in Gefahr sei, wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass ein anderer für seine Tat büßen müsste.
    Geraldine hatte sich gerade so weit erholt, dass sie versuchte, sich von Ras loszumachen, seine Finger von ihrem Hals zu lösen, doch Ras drückte nur umso fester zu.
    »… hab’s nicht angefasst … das Pferd«, krächzte Geraldine.
    Ras schüttelte sie heftig.
    »Du hast es vielleicht nicht angefasst, aber du hast das Tor aufgemacht und es rausgelassen, nicht wahr?«
    Geraldine war von dem vielen Husten und Keuchen knallrot im Gesicht geworden. Außerdem lief ihr die Nase.
    »Ich hab nicht …«, begann sie.
    Ras drückte sie wieder über das Spülbecken und hielt ihren Kopf unter den Wasserhahn. Sie warf den Kopf hin und her, doch es half nichts. Irgendwann musste sie atmen, und das Wasser lief ihr in Mund und Nase. Erneut gab sie gurgelnde Geräusche von sich.
    »Dumme Sau«, fauchte Ras. »Ich hab noch nie eine so dumme Sau erlebt.«
    Blade konnte nicht zulassen, dass sein Daddy seine Mama umbrachte, und es sah so aus, als wäre er auf dem besten Wege dahin. Also schnappte er sich Daddys Kaffeebecher vom Tisch und warf ihn durch die Küche. Er traf Ras am Rücken, genau zwischen den Schulterblättern.
    Ras ließ Geraldine los und fuhr herum. Es war niemand da. Blade Ballenger war verschwunden.
    Oma Calla blieb bei ihrem Wort. Niemand durfte auch nur in die Nähe ihres Pferdes, wenn er nicht brav war und nicht im Haushalt half. Swan, Noble und Bienville waren den ganzen Tag lang so nett zueinander und zu allen anderen gewesen, dass Willadee an ihnen zu riechen begann, wenn sie an ihr vorbeigingen. Sie war der Meinung, jede Mutter würde ihre Sprösslinge am Geruch erkennen, auch wenn sie sich plötzlich so anders benahmen, dass man sie an ihrem Verhalten nicht mehr wiedererkannte.
    Und wie sah es mit der Hilfe im Haushalt aus? Die Kinder arbeiteten wie wild. Bis halb zwölf hatten sie die Veranda gefegt, die Blumenbeete gejätet und einen Scheffel Augenbohnen gepflückt. Danach wuschen die Jungen die schmutzigen alten Benzinpumpen mit Seifenlauge und polierten sie, was das Zeug hielt, während Swan jede Glasfläche in Callas Laden mit Essig und Zeitungspapier putzte. Schließlich glänzte alles so sehr, dass die Kunden sich zum Schutz gegen die gleißende Helligkeit die Hand vor die Augen halten mussten, wenn sie aus dem Auto stiegen.
    Ab und zu ging eines der Kinder zu Calla, sah sie treuherzig an und erklärte ihr, dass sie der liebste alte Mensch auf der ganzen Welt sei und sie ja so froh wären, ihre Enkelkinder zu sein. Calla schüttelte den Kopf und sagte, sie wisse nicht, wessen Enkelkinder sie wären, aber sie sei froh, dass sie vorbeigekommen wären, um zu helfen.
    Irgendwann am Nachmittag beschloss Willadee, die Kinder wären jetzt lange genug brav gewesen. Sie könne es nicht mehr mit ansehen, wie sie so hektisch herumwuselten. Auch Calla gab zu, dass ihr allmählich ganz schwindlig wurde, außerdem hätten die Kinder bereits mehr für sie gearbeitet, als ihrer Meinung nach überhaupt zu tun gewesen war.
    Man schickte die Geschwister also spielen, und Oma Calla schärfte ihnen erneut ein, sich bloß von ihrem Pferd fernzuhalten. Sie wusste, dass Kinder dem Drang nicht widerstehen können, auf alles hinaufzuklettern, was größer ist als sie selbst, besonders wenn es eine Mähne und einen Schwanz hat.
    »Stellt euch nur mal vor, wie ihr euch fühlen würdet, wenn ihr in der gleichen Verfassung wärt wie John«, sagte sie. »Wie würde es euch gefallen, wenn euch ein Haufen Kinder auf

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