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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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wusste Calvin Bescheid. Er sagte, er sei vorhin in Miz Callas Laden gewesen, um ein Päckchen Bull of the Woods zu kaufen, war jedoch nicht bedient worden, da die gesamte Familie draußen neben der Scheune um ein großes weißes Pferd versammelt gestanden hatte. Schließlich hatte er sich eigenhändig den Kautabak genommen und das Geld auf der Theke liegen lassen.
    »Sheriff Meeks war auch da«, sagte Calvin. »Frag mich nicht, warum.«
    Early Meeks riss Papierstreichhölzer aus einem Briefchen und schnipste sie zu der Mokassinschlange hinüber, die auf einer Ecke seines Schreibtischs lag und mit weit aufgerissenem Maul ihre eindrucksvollen Giftzähne präsentierte. Early hatte die Schlange vor ein paar Jahren im Sumpf hinter seinem Haus getötet und sie von einem Tierpräparator so herrichten lassen, dass ein Aschenbecher in ihren zusammengerollten Körper passte. Für den Fall, dass es tatsächlich stimmte, was Early gehört hatte, und selbst die Zähne von toten Giftschlangen noch gefährlich waren, waren diese mit einem durchsichtigen Versiegelungsmittel bestrichen worden, das sich mittlerweile gelblich verfärbt hatte.
    Der Aschenbecher war halb voll mit Papierstreichhölzern, als Ras Ballenger in das Büro gestürmt kam und entrüstet schrie, man habe ihm letzte Nacht ein Pferd gestohlen. Seine Hunde hätten ihn mit ihrem Gebell aufgeweckt, und daraufhin sei er mit seiner Schrotflinte aus dem Haus gelaufen, doch da habe sich der Dieb bereits auf dem besten Pferd, das er auf dem Hof hatte, aus dem Staub gemacht. Er habe nicht geschossen, weil er das Pferd nicht treffen wollte.
    Early lehnte sich zurück und hörte zu, wie es sich für einen Polizisten gehörte. Er unterbrach Ras kein einziges Mal, sondern ließ den kleinen Dreckskerl einfach erzählen. Und der erzählte mehr, als er eigentlich vorgehabt hatte.
    »Das Tier war in bestem Zustand, als es mein Grundstück verlassen hat.« Ras schlug mit der Faust auf Earlys Schreibtisch. »Und ich hoffe doch schwer, dass das immer noch der Fall ist, wenn ich’s zurückkrieg.«
    Early kratzte sich mit einem Finger am Ohr und runzelte die Stirn.
    »Sie glauben doch wohl nicht, ich hätte das Pferd gestohlen, oder?«, sagte er.
    Ras bekam plötzlich einen Hustenanfall.
    »Ich wollte Sie nicht beschuldigen. Ich wollte nur ein Verbrechen melden!«
    »Für mich klang das aber eher so, als wollten Sie mich für alles verantwortlich machen, was dem Tier zugestoßen sein könnte.«
    »Das hab ich nicht gesagt.«
    Early sah ihn verständnislos an, als wäre das alles zu hoch für ihn.
    »Sie glauben also, der Dieb ist mit dem Pferd von Ihrem Grundstück geritten, hat kurz darauf beschlossen, dass er es nicht behalten will, weil es ihm doch nicht so gut gefällt, es dann aber aus purer Bosheit verletzt und schließlich an einem Ort stehen gelassen, wo ich es ganz leicht finden kann?« Er kratzte sich erneut am Ohr. »Wenn jemand ein Pferd stehlen will, fährt er normalerweise mit einem Anhänger rückwärts an die Weide heran, zerschneidet den Zaun, lädt das Vieh auf und verduftet damit ganz schnell ins nächste County. Ich hab noch nie gehört, dass jemand ein fremdes Grundstück betritt und fast bis zum Haus geht, zwischen den Hunden und dem anderen Viehzeug herumspaziert, sich ein Pferd schnappt und damit fortreitet, bloß um es zu misshandeln, und anschließend zu Fuß weitergeht. Ich frag mich, wie dieser Hurensohn nach Hause gekommen sein soll.«
    Ras straffte sich. Er wusste, dass man ihn verschaukelte, aber ihm blieb keine andere Wahl, als die Sache trotzig durchzustehen.
    »Ich weiß nur, dass es gestohlen wurde. Und es ist Ihr Job, es mir zurückzubringen.«
    Early lächelte. Es war ein nachsichtiges Lächeln, das er sich für Leute aufsparte, auf die er nicht mal pinkeln würde, wenn sie in Flammen stünden. Dann erhob er sich zu seiner vollen Größe, worauf sich Ras ebenfalls so groß machte, wie er konnte, was allerdings nicht besonders groß war. Early rechnete schon fast damit, dass Ras auf den Schreibtisch springen würde, um endlich mal auf jemanden herabzublicken.
    »Ich werde mich umhören«, sagte Early.
    Er ließ sich nicht anmerken, dass er wusste, wo das Pferd war, und Ras ließ sich nicht anmerken, dass er wusste, dass Early es wusste. So hatten beide ihre kleinen Geheimnisse.
    Nachdem Ras gegangen war, riss Early ein weiteres Papierstreichholz ab und schnipste es in den Aschenbecher in der zusammengerollten Mokassinschlange. Durch das Fenster konnte

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