Die Geschichte eines Sommers
Eines, das keine üblen Angewohnheiten hatte und am besten auch nicht furchtbar schnell war.
»Da habe ich genau das richtige Tier für Sie«, hatte Odell gesagt. »Eine Stute namens Lady.« Sie stritten ziemlich lange über den Preis. Odell wollte Toy das Pferd schenken, aber Toy wollte nichts umsonst haben. Schließlich einigten sie sich auf einen Deal, dessen Bedingungen nur sie beide kannten. Tatsächlich wusste außer ihnen niemand, dass es überhaupt einen Deal gab.
Am späten Vormittag hatten die Kinder ihre Aufgaben erledigt und taten das, was sie meistens taten, wenn sie keine Verpflichtungen mehr hatten, und das war nicht viel. Noble und Bienville lagen auf einem Stück nacktem Boden auf dem vorderen Hof und versuchten Kellerasseln aus ihren Löchern zu locken, indem sie einen Zweig in das Loch steckten und ihn immer weiterdrehten.
»Kellerassel, Kellerassel, dein Haus steht in Flammen«, sollte man dabei sagen, also sagten sie es. Allerdings hatten sie noch nie erlebt, dass es funktionierte, und das tat es auch diesmal nicht, aber auf diese Weise hatten sie zumindest etwas zu tun.
Swan war auf den Hühnerstall hinter dem Haus geklettert, weil man von dort am einfachsten den Maulbeerbaum besteigen konnte, der danebenstand. Sie brauchte sich vom Dach des Hühnerstalls nur in die Baumkrone hinaufzuziehen. Nun saß sie rittlings auf einem Ast, den Rücken gegen den Stamm gelehnt. So dicht belaubt, wie der Baum war, konnte sie nicht sehen, was um sie herum passierte, aber das war ihr ganz recht. Dass gleichzeitig auch niemand sie sehen konnte, passte ihr noch besser.
Swan hörte, wie Odells Truck samt Anhänger knatternd vorfuhr, schenkte dem jedoch nicht die geringste Beachtung. Den ganzen Tag und fast die ganze Nacht über kamen Fahrzeuge auf den Hof der Moses gerattert und geknattert. Erst als ihre Brüder ein Geheul anstimmten wie Indianer auf dem Kriegspfad, wurde sie aufmerksam.
»Ein Pferd?«, jauchzte Noble. »Ein Pferd für uns ?«
Und Bienville brüllte: »Du meinst, wir haben ein Pferd bekommen und müssen es niemandem mehr zurückgeben?«
Nun ja, so etwas hört man nicht, ohne neugierig zu werden. Zumindest nicht, wenn man zwölf Jahre alt ist. So ein Pferd würde zwar nicht ihr gebrochenes Herz heilen, und sie würde sich trotzdem weiter wegen Blade grämen, aber interessant war das schon.
Swan kletterte vom Baum.
Da Pferde einen Anhänger nicht mit dem Kopf zuerst verlassen, sondern rückwärts hinausgehen, sahen Swan und ihre Brüder als Erstes das Hinterteil von Lady. Was für den Anfang gar nicht so schlecht war.
»Mann, ist das schön«, flüsterte Noble.
»Ja«, hauchte Bienville ehrfürchtig.
»Was? Der Hintern?«, fragte Swan, die sich nicht bereits beim Anblick vom Hinterteil eines Pferdes entzückt zeigen wollte.
Dann kam der Rest der Stute in Sicht. Sie hatte genau die richtige Größe – nicht zu groß und nicht zu klein – und war am ganzen Körper grau gefleckt. Falls sie einen leichten Senkrücken hatte, so fiel ihnen das nicht auf. Ob sie die besten Jahre schon hinter sich hatte? Das konnten die Kinder nicht erkennen. Allerdings bemerkten sie, dass die Mähne ein bisschen merkwürdig aussah. Als wäre ein Kind mit der Schere am Werk gewesen – was der Realität entsprach.
»Die Mähne wächst wieder nach«, sagte Odell entschuldigend. »Meine Tochter hat ein bisschen Unsinn gemacht.«
Die Kinder nickten verständnisvoll. Der Haarschnitt war ihnen völlig egal.
»Lady ist ein gutes und braves Pferd«, sagte Odell. »Sie ist fast achtzehn, deshalb auch nicht mehr so temperamentvoll wie früher. Aber sie ist freigebig.«
Bienville, der immer ganz genau wissen wollte, was alles bedeutete, hatte das Gefühl, dass der Ausdruck »freigebig«, wandte man ihn auf ein Pferd an, etwas anderes bedeutete als sonst. Also bat er Odell, das Wort näher zu erklären.
»Das heißt, wenn du sie bittest, etwas zu tun, wird sie sich ganz stark anstrengen, damit du auch mit ihr zufrieden bist«, sagte Odell.
Die Kinder lächelten. Alle drei. Sogar Swan. Nur Toy Moses lächelte nicht. Er guckte so grimmig, wie er nur konnte, und erklärte den Kindern, wenn sie das Pferd überanstrengten, würde er schon wissen, wo er eine Rute von einer Ulme abschnitte.
Sie ritten das Pferd ohne Sattel. Toy hatte zwar einen alten Sattel in der Scheune, doch das Leder war brüchig und der Sattel viel zu groß für Lady. Im Übrigen fanden die Kinder: Wenn Reiten ohne Sattel gut genug für Indianer
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