Die Geschichte eines Sommers
bis er sie bekam.
»Vielleicht lautet die Antwort ja auch, dass wir eine Wassermelone aufschneiden und uns den Saft am Kinn hinunterlaufen lassen sollen«, sagte sie, gab damit Samuel allerdings nur das Gefühl, dass sie die Sache nicht ernst nahm, was allerdings nicht stimmte. So wie sie die Sache sah, hatte Gott Wassermelonen erfunden, damit die Menschen sie bei heißem Wetter essen konnten, und er hatte die Menschen erschaffen, damit sie sich liebten und das Leben genossen. Wenn man ständig Gottes Willen zu ergründen versuchte, konnte man leicht das Offenkundige übersehen, so Willadees Meinung.
Trotzdem machte sie sich fertig und begleitete Samuel. Bernice ebenfalls.
Der August schleppte sich glühend heiß und staubtrocken dahin. Während die Ernte der Farmer auf den Feldern verdorrte, versiegte auch Samuels Einkommen, denn selbst die wenigen Leute, die bisher ihre nicht gerade geringen Raten gezahlt hatten, hielten das nun nicht mehr für nötig. Manche von ihnen hielten es nicht mal mehr für nötig, die Tür aufzumachen, wenn Samuel zum Kassieren kam.
Samuel, dem es zuwider war, Geld von Leuten zu verlangen, die sich die Ausgaben eigentlich nicht leisten konnten, brachte es nicht übers Herz, die harten Einschüchterungstaktiken einzusetzen, die Mr Lindale Stroud ihm beizubringen versuchte. Für ihn war Diebstahl Diebstahl, egal ob man nun eine Waffe oder eine Grobheit benutzte, um das Gewünschte zu bekommen. Samuel hoffte noch immer darauf, dass Gott ihm eine neue Einkommensquelle eröffnen würde, doch Gott hatte anscheinend kompliziertere Pläne. Ganz gleich, auf wie viele Stellen in der Stadt Samuel sich auch bewarb, es schien keine andere Arbeit für ihn zu geben. Und ganz gleich, mit wie vielen Predigerkollegen er sich in Verbindung setzte, immer erhielt er nur Versprechungen, dass sie sich als Erstes bei ihm melden würden, wenn sie jemanden bräuchten, um sie auf der Kanzel zu vertreten.
Aber es meldete sich niemand, und der Sommer war fast vorüber.
Da die Schule bald wieder anfangen würde, fuhren Samuel und Willadee mit den vier Kindern nach Magnolia, um ihnen neue Schuhe zu kaufen. Swan wollte schwarzweiße Oxford-Schuhe, doch ihre Mutter erklärte ihr, sie würde dieses Schwarz und Weiß furchtbar leid sein, noch bevor die Schuhe verschlissen oder ihr zu klein geworden wären – und so lange würde sie sie auf jeden Fall tragen müssen. Sie einigten sich auf Penny-Loafers, zu denen Blade, der viele verschiedene Münzen von seinen Freunden in der Bar bekommen hatte, die Pennys beisteuerte.
Die Jungen bekamen hohe Turnschuhe und jeder zwei Jeans. Normalerweise wäre Samuel als Nächstes mit den Jungen Hemden kaufen gegangen, während Willadee und Swan an der Stofftheke herumstöberten. Swan hatte sich schon darauf gefreut, denn es war viel schöner, sich vorzustellen, was man aus einem Stück Stoff und etwas Borte alles machen könnte, als die Ständer voller gleich aussehender Kleider mit ihren Streifen, Karos, den billigen Knöpfen und kitschigen Schleifen durchzusehen.
Doch in diesem Jahr sagte Samuel kein Wort davon, dass er mit den Jungen Hemden kaufen gehen wolle, und auch die Stofftheke ließen sie links liegen.
»Was soll das heißen, ich soll mir welche davon aussuchen?«, fragte Swan. Ihre Mutter hatte sie ins Wohnzimmer gerufen, wo etwa zwei Dutzend verschiedene Stoffstücke über das Sofa, die Stühle und diverse Beistelltische drapiert waren.
»Ich möchte wissen, welche du am schönsten findest«, sagte Willadee. »Ich glaube, mir gefallen die mit den kleineren Mustern besser.«
Swan kniff ein Auge zu und starrte mit dem anderen auf die Stoffe. Es gab sie in leuchtenden und gedeckten Farben, mit auffallenden und dezenten Mustern, aber eines hatten sie alle gemeinsam: Es waren Futtersäcke. Oma Calla musste sie schon seit einer ganzen Weile gesammelt haben.
»Willst du mit Oma Calla einen Quilt nähen?«, fragte Swan, obwohl sie die Antwort schon kannte. Wenn man als Kind von jemandem aufwächst, der während der Weltwirtschaftskrise auf einer Farm gelebt hat, dann weiß man, wozu Futtersäcke alles gut sein können.
»Deine Oma besitzt schon mehr Quilts, als Leute hier wohnen, die darunter schlafen könnten«, sagte Willadee. »Wir werden ein paar allerliebste Kleider daraus machen.«
Swan konnte sich nicht erinnern, dass ihre Mutter je zuvor das Wort »allerliebst« benutzt hatte. Sie öffnete das geschlossene Auge und kniff das andere zu. Einen Moment lang stand
Weitere Kostenlose Bücher