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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Dummheit besiegt mit der gleichen Sicherheit, mit der Odysseus den Zyklopen Polyphem besiegte, mit der gleichen Sicherheit, mit der die Männer der Bronzezeit die Männer der Steinzeit überwanden. Gustav Oppermann und Rektor François führten ein Tischgespräch, wie es Vorfahren des Rektors geführt haben mochten.
    Allein noch bevor die Mahlzeit zu Ende war, fiel es François auf die Seele, daß er noch ein Versprechen einlösen mußte, das Donnerwölkchen ihm abgenommen hatte. Als er nämlich Frau François erzählte, was für ein nettes Büchlein er Gustav Oppermann mitbringen werde, hatte sie zu ihm gesagt: »Wenn du morgen zu deinem Freund gehst, kannst du gleich mit ihm über deinen Oppermann reden. Er muß den Lausejungen dahin bringen, daß er endlich seine Geschichte mit Oberlehrer Vogelsang bereinigt. Heutzutage darf man solche Sachen nicht anstehen lassen.« Sie hatte so lange auf François eingeschwatzt, bis der ihr zusicherte, er werde die Angelegenheit mit Gustav besprechen.
    Jetzt also besprach er sie. Vorsichtig, mit Bemerkungen allgemeinerNatur, leitete er das Gespräch ein. Der Krieg hat die deutsche Sprache verändert. Hat ihr neue Begriffe zugeführt, neue Worte, hat Vokabular und Syntax geschliffen. Werden ausschließlich die neuen Wendungen gebraucht, dann entsteht Widerwärtiges. Wird aber das gute Alte organisch mit dem guten Neuen verbunden, dann bildet sich ein Stil heraus, weniger gemütvoll als das frühere Deutsch, härter, kälter, vernünftiger, männlicher. Manche seiner Schüler haben für dieses neue, ihm willkommene Deutsch ein feines Ohr. Der feinsten eines hat Berthold Oppermann. Der verbindet mit dem Sinn für die Technik dieses Jahrhunderts ein lebendiges Interesse an humanistischen Dingen, am Geist. Es bleibt nur zu hoffen, daß der widerwärtige neue Lehrer, den sie ihm in seine gute Anstalt hineingesetzt haben wie die Kartoffel in das Tulpenbeet, nicht zuviel verderbe. Und dann erzählt er den Fall Vogelsang.
    Gustav hörte zu, nicht übermäßig interessiert. Erwartet François, daß er, Gustav, den Fall als ein Problem anschaut? Da sieht man, wie doch ein jeder eingesperrt ist in seinen Beruf und die beruflichen Dinge überschätzt. Wie denn? Der Fall liegt doch außerordentlich einfach. Der Junge hat eine vernünftige Behauptung aufgestellt. Der Lehrer will sie aus einem vulgären Sentiment heraus nicht gelten lassen. Glaubt François ernstlich, daß im zwanzigsten Jahrhundert einem jungen Menschen, der in einer wissenschaftlichen Anstalt erweisbare Dinge äußert, daraus ein Strick gedreht werden kann?
    Soweit sei es noch nicht, meint Rektor François und streicht mit den kleinen, gepflegten Händen den weißen Knebelbart. Aber Gustav scheine doch den Einfluß zu unterschätzen, den die völkische Bewegung leider auch auf die Schule habe. François hat eine Unterredung mit dem zuständigen Ministerialreferenten gehabt, einem Gutgesinnten übrigens, mit dem sich François trefflich versteht. Er hat eine Zusage des Referenten, daß der, wenn irgend möglich, den störenden neuen Mann baldigst aus seiner Anstalt versetzenwerde. Allein auch der Ministerialreferent ist von äußeren Umständen abhängig und muß nach allen Seiten Kompromisse machen. Für ihn, François, sei die gegebene Taktik, die Sache Vogelsang-Oppermann dilatorisch zu behandeln. Werde Vogelsang versetzt, dann sei der Fall automatisch erledigt. Aber das sei, wie gesagt, ein Potentialis. Es wäre vorteilhaft, nicht zu fest mit diesem Potentialis zu rechnen. Vielleicht kann Gustav seinem Neffen zureden, daß der die geforderte Entschuldigung abgebe.
    Angefremdet schaute Gustav auf. Nach François’ Einleitung hatte er eine andere Folgerung erwartet. Er zog die dichten Augenbrauen zusammen, über der starken Nase zeigten sich die scharfen, senkrechten Furchen, das ganze Gesicht des rasch bewegten Mannes spiegelte seine Betroffenheit wider. Daß er durch Mühlheim sein Geld ins Ausland schaffen ließ, war aus ähnlicher Vorsicht geschehen, wie sie jetzt Rektor François zeigte. Dem Jungen jedenfalls war solche Vorsicht nicht zuzumuten. Nach einem kleinen Schweigen sagte er: »Nein, lieber François, in dieser Angelegenheit kann ich Ihnen nicht helfen. Ich kann es verstehen, wenn jemand eine Wahrheit, um die er weiß, verschweigt. Aber nachdem mein Neffe einmal seine Wahrheit ausgesprochen hat, möchte ich ihm nicht zuraten, sie hinterher zu verleugnen und sich gar dafür zu entschuldigen.« Sein Gesicht sah

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