Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
Vom Netzwerk:
Grammophonplatten hervor, hebräische Gesänge, ein altes, jiddisches Volkslied. Leise summte er mit:

    »Zehn Brüder sind wir gewesen.
    Haben wir gehandelt mit Wein.
    Ist einer nebbich gestorben,
    Sind wir geblieben neun.
    Jossel mit der Fiedel,
    Tevje mit dem Baß,
    Spielt mir auf ein Liedel
    Mitten auf der Gaß.«
    Als man aufbrach, sagte Tante Klara, die bisher geschwiegen hatte: »Es bleibt nichts übrig, Berthold. Du mußt dich entschuldigen.Tu’s noch in den Ferien, in einem Brief. Schreib an Rektor François.«
    Sybil hatte das Dienstmädchen weggeschickt, Gustav und sie machten sich selbst ihr kaltes Abendbrot zurecht. Geschäftig, zutraulich lief Sybil in ihrer netten Zweizimmerwohnung ab und zu. Er sah mit immer neuer Freude, wie sie auf seine kleinen Neigungen und Abneigungen Rücksicht nahm; sie verstand sich trefflich auf die Dinge, die den Rand des Lebens schmücken. Dünn, kindlich, gescheit, reizvoll war sie um ihn besorgt. Schwatzte altklug. Alles einzelne an ihr und um sie herum war von solcher Art, daß man notfalls darauf hätte verzichten können; aber wenn Gustav darauf verzichten müßte, wäre dann das Leben lebenswert?
    Gustav war strahlend heiter. Diese Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr war ihm sehr lieb. Er saß, aß, trank, schwatzte.
    Der Vertrag über die Lessing-Biographie war gekommen. Das Honorar war nicht üppig. Er soll achtzehn Monate lang Raten von je zweihundert Mark erhalten. Für eine Tätigkeit von etwa viertausend Stunden eine ziemlich dürftige Entlohnung. Aber den größten Teil der Arbeit hat er bereits geleistet, und nun, scherzt er, hat er auf anderthalb Jahre ein gesichertes Einkommen.
    Sybil hörte aufmerksam zu, ohne Lächeln. Sie verdiente für ihre kleinen, sauberen, oft grausamen Geschichten im Monatsdurchschnitt drei- bis vierhundert Mark. Niemand wußte, wieviel Mühen sie diese Geschichten kosteten, wie beflissen sie daran feilte, und wie schlecht sie dann entlohnt wurde. Gustav hatte es leicht. Für ihn waren die zweihundert Mark eine winzige, unmerkliche Beigabe. Die Männer schenkten einem Blumen, Schokolade, Parfüm; oft für ein Abendessen in einem teuren Restaurant zahlten sie sechzig oder siebzig Mark. Sie wußten nicht, wieviel glücklicher man wäre, wenn sie zwanzig Mark für das Abendessen ausgäben und einem die vierzig Mark aushändigten. Gustav war alles eher als ein Knicker; erwies ihr monatlich einen ausreichenden Betrag auf ihr Bankkonto an. Aber sich gut anziehen kostet Geld, die Honorare laufen langsam ein, man ist oft im Gedränge. Den sensiblen Gustav um Geld angehen ist ganz unmöglich.
    Zweihundert Mark. Die Wohnung kostet Geld, das Auto, seidene Hemden. Strümpfe sind billig. Ein Russe hat jetzt um drei Paar Seidenstrümpfe herum einen guten Roman geschrieben. Sie, Sybil, hat eine Geschichte entworfen um eine Frau herum, die eine gute Soziologin ist, kühl, vernünftig, aber gezwungen, von Modeschriftstellerei zu leben. Die Verästelung ist schwach, aber jetzt ist sie da einer Idee auf der Spur. Die zweihundert Mark sind für die Nebenhandlung eine gute Basis. Eigentlich sollte sie mit Gustav darüber sprechen. Gerade wenn es um die Komposition einer Handlung geht, kann er einem gute Tips geben. Allein heute ist er nicht in Stimmung dafür. Sie aber ist in Stimmung. Es arbeitet in ihr, sie möchte den Plan der Geschichte niederschreiben.
    Gustav mittlerweile sprach von seinem Lessing. Klaus Frischlin erwies sich als sehr brauchbar. Die Frage war, soll er ihn ständig damit beschäftigen. Dann nämlich muß Frischlin seine Tätigkeit als Direktor der Kunstabteilung des Hauses Oppermann aufgeben. Mit dem Lessing wird er in längstens achtzehn Monaten fertig sein. Lohnt es, dafür Frischlin aus einer unbefriedigenden, aber festen Stellung herauszureißen?
    Sybil hörte zerstreut zu, sie war bei ihrer Geschichte. Gustav merkte das. Leicht gekränkt, verließ er Sybil früher, als er vorgehabt hatte.
    Den Tag darauf aß Professor Mühlheim bei Gustav zu Mittag. Das Gesicht des kleinen, quicken Herrn fältelte sich diesmal besonders listig. Er hatte gerade noch vor Torschluß eine großartige Sache für Gustav gemanagt. Seit Jahren drängt er, daß Gustav sein Vermögen ins Ausland schaffe. Die deutschen Dinge werden immer bedrohlicher. Ist der nicht ein Wahnsinniger, der in einem Zuge sitzen bleibt, dessen Personal unverkennbare Spuren von Wahnsinn zeigt? Jetzt hatteMühlheim Gelegenheit, durch eine bestimmte Transaktion Geld

Weitere Kostenlose Bücher