Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
völkischen Presse. Diese Herren werden nämlich die einzigen sein, die auf das Zeug reagieren. Vor einem Jahr wäre das ein Spaß gewesen. Jetzt sind sie der Mund der Regierung, einer recht skrupellosen Regierung. Für deinen Bruder Martin wird es kein Festessen sein, wenn er den Dreck lesen muß.« Gustav stand da wie ein gescholtener Schuljunge. »Man kann dich wirklich keinen Augenblick allein lassen, Oppermann«, schloß Mühlheim milder.
Allein Gustavs Betroffenheit war rasch vorbei. Was? Will man ihm von neuem bange machen? Man soll ihn gefälligst verschonen mit der blöden Miesmacherei. Er macht nicht länger mit. Er läßt es sich nicht verbieten, für Lessing, Goethe, Freud einzutreten. Sollen dann in Gottes Namen ein paar Idioten die Stühle für ihre geschätzten Gesäße woanders kaufen als bei Oppermanns. Mühlheim sah spöttisch auf den erregten Mann. Erwiderte kühl, ironisch. Die beiden Freunde trennten sich verstimmt.
Sehr anders als auf Mühlheim wirkte das Manifest auf Sybil Rauch. Sie freute sich, den Namen ihres Freundes unter den sehr guten Namen der andern Unterzeichner zu finden. Gratulierte ihm auf ihre kindliche, herzliche Art. Es war sehr anständig von Gustav, den Aufruf so bedenkenlos zu unterzeichnen. Ihr Freund gefiel ihr. Gustav fand ihre Meinung viel natürlicher, wirklichkeitsnäher als die der Politiker, Juristen, Geschäftsleute.
Er arbeitete, lebte. Die Arbeit ging gut voran, das Leben war schön. Mag im Palais des Reichskanzlers der Barbar sich sielen: ihn kümmert es nicht.
Was Martin Oppermann, Jacques Lavendel, was die klugen Herren Brieger und Hintze, was der erfahrene Professor Mühlheim, die schöne, gescheite Ellen Rosendorff nicht fertigbekommen hatten, nämlich die mauerfeste Zuversicht Gustavs zu erschüttern, das bewirkten seltsamerweise drei Stühle. Genau gesagt, drei für eine Eßzimmergarnitur bestimmte Stühle à siebenunddreißig Mark, Modell Nr. 1184. Sechs solcher Stühle nämlich hatte Frau Emilie François, das Donnerwölkchen, in ihrem Speisezimmer stehen, und sie war seit langem der Ansicht, daß man neun solcher Stühle benötige. Ihr törichter Gatte gab Frau Emilie in diesen letzten Wochen immer mehr Ursache zur Unzufriedenheit. Der Fall des Lausejungen Oppermann war, trotzdem die politische Lage sich zuspitzte, immer noch nicht bereinigt, und die Beziehungen des Rektors zu Oberlehrer Vogelsang ließen zu wünschen übrig.Rektor François, um Emilie ein wenig zu besänftigen, wollte ihr zu ihrem Geburtstag die drei fehlenden Stühle schenken. Dagegen hatte Frau François an sich nichts einzuwenden, aber sie machte sich Sorgen über die technischen Details, wie man in den Besitz der Stühle gelangen könne. Da es sich um eine einheitliche Garnitur handelte, konnten die Stühle nur bei Oppermanns bestellt werden. Andernteils sah man es nicht gerne, wenn ein höherer Schulbeamter in diesen Zeiten in einem jüdischen Geschäft kaufte. Die Stühle durften unter keinen Umständen durch einen Transportwagen des Möbelhauses Oppermann oder durch einen Boten zugestellt werden, der als Angestellter der Firma Oppermann kenntlich war. Sie bestand darauf, daß François das bei der Bestellung ausdrücklich betonte. Das einfachste sei, er teile seinem Freunde Gustav ihren Wunsch telefonisch mit. Rektor François weigerte sich. Frau François erklärte, solche Ersuchen seien üblich, sonst müßten die meisten jüdischen Geschäfte zuschließen. François, unter ihrem Druck, versprach, Gustav die Sache bei Gelegenheit beizubringen. Er gedachte das auf eine schalkhafte Art zu tun, obenhin, nebensächlich. Aber Donnerwölkchen bestand darauf, zuzuhören, wenn François telefonierte. Es war wohl die Folge ihrer Gegenwart, daß das Ersuchen des Rektors nicht ganz so schalkhaft herauskam, wie er es wünschte.
Es gelang Gustav zwar, das Telefongespräch so zu beenden, wie es Rektor François führen wollte, leichthin, schwatzend. Aber, den Hörer eingehängt, veränderte er sich auf erschreckende Art. Schämten sich bereits seine Freunde der Dinge, die von ihm stammten? Er verfinsterte sich, hörte sein erregtes Herz schlagen. Glaube und Zuversicht rannen aus ihm wie die Luft aus einem defekten Gummireifen.
Dr. Bernd Vogelsang war fünfunddreißig Jahre alt, jung und gelehrig. Die knappen, abgezirkelten Bewegungen, die er sich in der Provinz angewöhnt hatte, wurden in Berlin runder, ohne an Strammheit zu verlieren, sein Kragen wurde um einen Zentimeter niedriger.
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