Die Gesellschaft des Abendsterns
Boden riss und ihn hastig überstreifte, woraufhin er sofort verschwand. Für einen Moment kam er wieder in Sicht, als er Kendra hochhob und sie ebenfalls verschwand. Seth packte die Überreste
der Wichtelkleider, und sie wurden beide für einen kurzen Moment wieder sichtbar. Dann verharrte er reglos und wurde durchsichtig.
Eine Sekunde später kam Vanessa um die Ecke und schaute direkt durch sie hindurch. »Hast du auch was gehört?«, fragte sie unsicher.
»Natürlich nicht, Liebste«, antwortete eine Männerstimme von hinter der Ecke. »Du hörst schon den ganzen Tag irgendwelche Dinge. Die Kobolde halten Wache. Alles ist gut.« Kendra erkannte die Stimme. Es war Errol!
Vanessa runzelte leicht die Stirn. »Ich nehme an, ich bin ein wenig angespannt.« Sie verschwand wieder.
Kendra merkte, dass sie den Atem angehalten hatte. Ihr war etwas schwindelig. Also begann sie wieder zu atmen, so ruhig sie konnte. Seth schnappte sich ein großes grünes Geschirrtuch von der Theke und wickelte es sich um die Hüften.
Plötzlich begann Kendras Körper zu kribbeln. Sie klopfte auf Seths Hand, und er hob sie an sein Ohr. »Bei mir kribbelt’s«, flüsterte sie.
Auf Zehenspitzen entfernte Seth sich von der Tür. Vanessa war in Richtung des Esszimmers gegangen, deshalb schlug er den Weg in die entgegengesetzte Richtung ein. Als sie das Wohnzimmer betraten, spürte Kendra, wie das Kribbeln sich ausbreitete und immer intensiver wurde. »Es wird nicht mehr lange dauern«, warnte sie ihn.
Seth steckte seine Schwester hinter ein Sofa. Als sie außer Sicht war, zog sie sofort ihr Kleid aus, das schon sehr eng saß. Nach einigen Augenblicken wurde das Kribbeln noch stärker, und Kendra spürte, wie sie wuchs. Bevor sie recht wusste, wie ihr geschah, hatte sie wieder ihre normale Größe. Ihr Körper schob das Sofa ein Stück von der Wand weg, und das unerträgliche Kribbeln legte sich.
Seth rückte das Sofa wieder gerade. Kendra hob vorsichtig den Kopf. »Wenn du meine Hand hältst, werde ich dann auch unsichtbar?«
Seth griff nach ihrer Hand und hielt still. Er wurde unsichtbar, aber sie nicht. »Er funktioniert wohl nur bei kleinen Dingen«, sagte er.
»Versuch, ein paar Kleider für mich zu finden«, wisperte sie.
Stimmen und Schritte näherten sich. Seth bedeutete ihr zu schweigen, dann kroch er an den Rand des Sofas und verharrte dort reglos.
Errol kam in den Raum hereinstolziert. Er trug denselben antiquierten Anzug, in dem Kendra und Seth ihn kennengelernt hatten. »Nichts weiter als ein kleiner Rückschlag«, sagte er über die Schulter gewandt. »Warum schickst du nicht einfach Dale?«
Vanessa folgte ihm in den Raum. »Uns gehen langsam die Leute aus. Unsere Aufgabe hier ist alles andere als abgeschlossen. Wir müssen sparsam sein. Tanu ist ein großer Verlust. Er war stark wie ein Bulle.«
Kendra biss sich auf die Unterlippe. Was war mit Tanu geschehen?
Errol durchquerte den Raum, warf sich auf das Sofa und schleuderte die Schuhe von den Füßen. »Zumindest wissen wir, womit wir es zu tun haben«, erklärte er.
»Wir hätten es letztes Mal schon wissen können«, erwiderte Vanessa. »Kendra hat mich genau im falschen Moment geweckt, kurz bevor ich sehen konnte, was da näher kam. Es gibt viele Kreaturen, die Furcht verströmen, aber das Gefühl war so stark, dass ich auf einen Dämon tippe. Und natürlich habe ich auch verpasst, was mit Seth geschehen ist.«
»Bist du dir sicher, dass er noch lebt?«, fragte Errol.
»Ich bin mir sicher, dass ich ihn gespürt habe«, erwiderte
Vanessa. »Aber ich konnte nicht Besitz von ihm ergreifen. Er war irgendwie schlüpfrig, geschützt. Es war anders als alles, was ich je gefühlt habe.«
Errol verschränkte die Hände hinterm Kopf. »Du bist sicher, dass er nicht einfach ein hirnloser Albino ist?«
Vanessa schüttelte den Kopf. »Nachdem der Wiedergänger Coulter und Tanu angegriffen hat, habe ich jeden Kontakt verloren. Es ist, als wäre Seth jetzt in einer Art abgeschirmtem Bereich.«
»Aber eigentlich hätte er nicht entkommen dürfen. Du hast genug gesehen, um das zu wissen.«
»Was der Grund ist, warum ich so verwirrt bin«, sagte Vanessa. »Ich weiß, was ich gefühlt habe.«
»Du hast ihn seit heute Morgen nicht mehr gespürt?«
»Das stimmt. Er könnte entwischt sein, er könnte tot sein, obwohl Letzteres eine verwegene Vermutung wäre. Mein Instinkt sagt mir, dass etwas Unvorhersehbares geschehen ist.«
»Bist du dir sicher, dass du die Kobolde nicht
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