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Die Gesellschaft des Abendsterns

Die Gesellschaft des Abendsterns

Titel: Die Gesellschaft des Abendsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Mull
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versehenen Dornen. Kendra konnte keinen Weg erkennen, der hinabführte: Die Wände waren spiegelglatt, bis hinunter zum Grund, wo sie mit knapper Not etwas in der Mitte des Bodens ausmachen konnte.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob wir genug Seil mitgebracht haben«, witzelte Warren, während er auf das Sims hinausging. »Ich glaube, wir sind am Ziel. Wie kommst du mit Höhen zurecht?«
    »Nicht besonders gut«, antwortete Kendra.

    »Warte hier«, sagte Warren. Er ging das schmale Sims entlang, wobei er immer wieder mit dem Schlüssel über den Rand tastete, als suche er nach einer unsichtbaren Treppe. Kendra bemerkte eine Nische auf der gegenüberliegenden Seite der Wand. Als Warren die Nische erreichte, zog er etwas heraus. Er schwebte ein oder zwei Meter hoch in die Luft, blickte zu den Dornen über ihm auf und schwebte wieder herunter.
    »Ich glaube, ich hab’s kapiert«, rief er. Er griff abermals in die Nische, und ein heller Blitz zuckte auf, der ihn rückwärts von dem Sims warf. Kendra hielt den Atem an, während sie hilflos zusehen musste, wie Warren auf den Boden weit unter ihnen zustürzte. Sein Sturz wurde langsamer, dann blieb er mitten in der Luft stehen und stieg langsam wieder auf. Als er Kendras Höhe erreicht hatte, verharrte er schließlich genau über der Mitte des Raums in der Luft.
    Außer dem Schlüssel hielt Warren jetzt auch noch einen kurzen weißen Stab in der Hand. »Ich kann mich nicht seitwärts bewegen«, erklärte er. Er schwebte zur Decke empor, bis er direkt unter den Dornen war, ergriff vorsichtig einen davon und stieß sich ab, so dass er direkt auf Kendra zuschwebte. Er sah aus wie ein Astronaut in Schwerelosigkeit, dachte Kendra.
    Warren landete neben ihr auf dem Sims. Der kurze Stab war aus Elfenbein geschnitzt, und das eine Ende war schwarz. Er hatte den Stab parallel zum Boden gehalten, aber jetzt, da er auf dem Steg stand, kippte er ihn, so dass die schwarze Spitze nach oben zeigte.
    »Dieses Ding ermöglicht es Ihnen zu fliegen?«, fragte Kendra.
    »Es scheint die Schwerkraft umzukehren«, antwortete er. »Hält man das schwarze Ende nach oben, zieht einen die Schwerkraft nach unten. Schwarzes Ende nach unten,
Schwerkraft rauf. Hält man ihn waagrecht, schwebt man. Kippt man ihn ein wenig nach oben, zieht einen die Schwerkraft ein klein wenig nach unten. Verstehst du?«
    »Ich denke, ja«, sagte Kendra.
    »Vorsicht mit dem Dach«, warnte Warren.
    »Haben Sie das schon mal gemacht?«, erkundigte sie sich.
    »Noch nie«, erwiderte er. »An Orten wie diesem lernt man zu experimentieren.«
    Er hielt ihr den Stab hin, und sie ergriff ihn. »Ich möchte ihn im Treppenhaus ausprobieren, ohne die Dornen.«
    »Nur zu«, sagte Warren.
    Kendra ging ins Treppenhaus zurück. Langsam neigte sie den Stab, bis er genau waagrecht war. Nichts fühlte sich im Mindesten anders an. Sie sprang ein Stückchen in die Luft. Alles war wie immer.
    »Ich glaube, hier draußen funktioniert es nicht«, meinte sie.
    »Der Zauber scheint ausschließlich auf diesen Raum beschränkt zu sein«, sagte Warren. »Trotzdem, ein starker Zauber. Ich habe noch nie von etwas Derartigem gehört. Denk daran, mit dem Stab veränderst du nur die Richtung, in die die Schwerkraft dich zieht. Wenn dein Schwung dich in eine Richtung zieht, ändert eine Drehung des Stabs diese Richtung nicht sofort. Als ich fiel und den Stab gedreht habe, wurde ich zuerst langsamer, dann verharrte ich und trieb schließlich nach oben. Also sieh zu, dass du genug Platz zum Abbremsen hast, oder du könntest als Fleischspießchen enden.«
    »Ich werde es gar nicht so weit kommen lassen, dass ich mich schnell bewege«, versicherte Kendra.
    »Gute Idee«, sagte Warren. »Und nur der Vollständigkeit halber: Versuch nicht, nach einem zweiten Stab zu greifen. Es fühlte sich an, als wäre ich von einem Blitz getroffen worden.«

    Den Stab in der Hand, folgte Kendra Warren über das Sims. Sie hielt die schwarze Spitze geradeaus nach oben gerichtet, weil sie nicht das Risiko eingehen wollte, zu den Dornen emporzuschweben. Als sie die Nische erreichte, sah sie, dass sich dort neun weitere Stäbe befanden. Ein jeder lag in einem Loch, und die schwarzen Spitzen zeigten allesamt nach oben.
    »Was hältst du davon, wenn wir dafür sorgen würden, dass uns niemand folgen kann?«, fragte Warren, griff nach einem Stab und warf ihn in den Abgrund unter ihnen. Statt zu fallen, schwebte der Stab wieder zurück in das Loch, aus dem Warren ihn herausgeholt hatte.

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