Die Gesichter der Zukunft
sofortige Vernichtung bedeuten würde? Wenn er zum Beispiel dächte – Mudge preßte die Zähne zusammen. Er durfte nicht an so etwas denken. Er durfte nicht! Er wußte instinktiv, daß es einen Ort gab, den er sich nicht vorstellen durfte, ohne augenblicklich zu sterben, bevor er sich vom Schreck erholen und den Rückzug antreten könnte. Er kannte den Namen dieses Ortes nur zu gut, kaum ein Tag verging, wo er ihn nicht sah, aber er durfte sich den Gedanken daran nicht erlauben.
Ein lästernder junger Professor sagte zu einem Freund, laut genug, daß Dr. Mudge es hören konnte: »Er sollte sich seine Person auf dem Mars vorstellen.«
Mudge hörte nicht einmal mehr das Glucksen, mit dem der andere die Bemerkung aufnahm.
Wups!
Er überblickte die sandigen Einöden, die sich endlos bis zu den klaren Horizonten erstreckten. Der Atem wich aus seinen Lungen, und er keuchte und schnappte schmerzhaft nach Luft. Verwirrt tat er ein paar Schritte, und der Sand drang in seine Filzpantoffeln. Ein dünner kalter Wind schnitt durch seinen Tweedsakko und spielte mit seinem Schlips.
Mein Gott, dachte er. Jetzt war es geschehen!
Dr. Mudge fühlte sich sehr allein. Sein Körper begann die schneidende Kälte zu fühlen, und obwohl er wie ein Karpfen nach Luft schnappte, fühlte er sich dem Erstickungstod nahe. Er hatte kein Vertrauen in seine geistige Disziplin mehr. Sie konnte ihn in Stich lassen. Seine hysterisierte Phantasie könnte ihn von einem unmöglichen Ort zum anderen jagen, von der Affenstation des New Yorker Zoos bis …
Wups!
Dr. Mudge sank matt gegen die Gitterstäbe. Er zog sein Taschentuch und betupfte seine Stirn. Benommen blickte er um sich. Es war spät, und der Bewohner des Käfigs, in dem er sich befand, schlief zusammengerollt auf einer breiten Laufplanke im Hintergrund des Käfigs. Mudge konnte nur eine Masse schwarzen Fells sehen. Vor ihm hing ein ausgedienter Autoreifen an einer Kette von der Decke.
»Gott sei Dank!« flüsterte er.
Die Nachtluft war feucht und erfrischend. Er atmete sie tief und genießerisch ein. Er war erschöpft von den Ereignissen, die seinen armen, menschlichen Geist herumgeworfen hatten, und die dünne Luft des Mars hatte ihm fast die Denkfähigkeit genommen. Er bewegte sich langsam am Gitter entlang und spähte nach draußen, unschlüssig, ob er es wagen sollte, an eine neue Ortsveränderung zu denken. Sein Blick fiel auf ein Schild vor dem Käfig, in dem er war. Obwohl die Schrift dem Besucher zugekehrt war, konnte er den Text lesen: »Berggorilla aus dem Ruwenzori-Gebirge, östl. Kongo –«
Wups!
»A-h-h-h«, ächzte Mudge, als er in finsterer Nacht auf einen nassen Felsblock sank. Um ihn her war eine Wildnis aus triefenden Farnwedeln und Bambus, und ein feiner Sprühregen ging auf ihn nieder. »So kann es nicht weitergehen! Setzte ich mich an einen Tisch, so würde mich irgend eine verrückte Vorstellung fortreißen, bevor ich einen Bissen in den Mund brächte. Ich würde verhungern. Und früher oder später werde ich zwangsläufig an einen sehr gefährlichen Ort denken, und das wird mein Ende sein, bevor ich entkommen kann. Da gibt es besonders einen Ort …
NEIN!« kreischte er in die afrikanische Nacht.
Der Gedanke hatte sich nicht geformt. Einen Ort gab es, an den er niemals denken durfte. NIEMALS!
Er schnaufte ermattet. Das war noch einmal gut gegangen. Er stand wieder auf, weil die Nässe des moosigen Felsens seinen Hosenboden durchdrungen hatte. Ein schwaches Gefühl von Stolz begann sich in ihm auszubreiten. Hier bin ich, im tiefsten Afrika, dachte er. Die Leute im Auditorium Maximum würden sich wundern …
Wups!
»Ich bin bestürzt und sehr verwundert«, sagte der Rektor der Universität eben mit einem Blick auf seine Taschenuhr, »daß unser Kollege, Professor Mudge, diesen festlichen Abend zum Anlaß nehmen sollte, mit allerlei Merkwürdigkeiten aufzuwarten und sich als eine Art Zauberkünstler zu produzieren …«
»Ich kann nichts dafür!« jammerte Mudge an seiner Seite.
Der Rektor sprang fast aus seinen Schuhen, und gleich darauf war er sehr ärgerlich, daß der Schreck ihn um seine Würde gebracht hatte, und er starrte finster auf Mudge herab. »Professor, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ein solches Benehmen nicht länger toleriert werden kann. Wenn Sie damit etwas beweisen wollen, dann würden wir alle eine Erklärung begrüßen. Das Thema des heutigen Abends ist Philosophie, nicht die Vorführung von
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