Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
Vom Netzwerk:
kümmerten. Nur weil sie als Sekretärin beim Staatsministerium des Innern gearbeitet hatte? Und warum hatte sich ihr Vater die Akte ausgeliehen, als sie noch in Mexiko war?
    Wieder fehlte das Gesicht, dachte sie. Ein Reigen aus Gesichtslosen schien sie zu umgeben. Die einen hatten es im Tod verloren, andere schon zu Lebzeiten keines besessen. Mit Hilfe ihrer Skizze und dem Kinderfoto der Salbeckschwestern konzentrierte sie sich auf Rosas Gesicht, versuchte in sie hineinzuschlüpfen und sie gleichzeitig von außen zu betrachten. Etwas formte sich in ihrem Hinterkopf, sie konnte es nur noch nicht greifen. Ein vages Bild, das weder den Erwartungen von Luise Salbeck noch sonst wem entsprach. Carina versuchte das Bild zu packen, es zu schärfen, da …
    »Abputzen«, krähte ihr Neffe. Sie stand auf. Ein Lichtstrahl drang aus dem Bad in den Gang. »Ich seh dich«, rief Sandro, auf dem Klo sitzend.
    Carina schaltete das Deckenlicht im Bad ein.
    »Jetzt geht’s nicht mehr«, maulte Sandro. Er hatte sich ihren Schlüsselbund geschnappt und im Dunkeln den kleinen Lampenanhänger ausprobiert. Der große Hund ruhte wie ein Fußschemel vor dem Klo und störte sich nicht an dem Gestank, den Sandro verbreitete. Ihr Neffe hatte seine Zehen in Gandhis Fell vergraben. Eigentlich ein Foto wert, dachte Carina, und knipste die beiden mit dem Handy. Allerdings beschloss sie, es Wanda lieber nicht zu zeigen. Sie wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie ihren Sohn mit einem Jagdhundmischling sehen würde. Apropos – wo blieb ihre Schwester nur? Nicht mal eine SMS hatte sie geschickt. Dann fiel Carina ein, wie Wanda sich ihr Handy ausgeliehen hatte, weil der Akku ihres eigenen leer war.
    »Kannst du dich nicht selber abputzen?«, fragte sie und hob Sandro vom Klo.
    »Schon, aber die Mama hat gesagt, du sollst dich um mich kümmern.« Nachdem sie ihren Neffen saubergemacht hatte, wollte er Kaba und Kerstin. Er legte sich in den Schlafsack und jammerte.
    »Wer ist Kerstin?«, fragte Carina. An Milch und Kaba hatte sie beim Einkaufen nicht gedacht.
    »Kerstin ist Kerstin.« Sandro schniefte und rollte sich ein. »Bestimmt weint sie schon oder schreit gaaanz schlimm, weil sie alleine zu Hause ist.« Er fing zu heulen an.
    Na toll. »Die Mama kommt gleich, versprochen.« Sie kitzelte ihn, aber er schlug ihre Hand weg. »Wie groß bist du?«, fragte sie. Diesen alten Trick hatte ihr Vater bei ihr immer angewandt. Kein Kind konnte widerstehen, wenn es darum ging, mit ausgestrecktem Arm zu zeigen, wie groß es war.
    »Kleingroß«, murrte Sandro nur. Offenbar kannte er Opas Trick schon. Zur Wand gedreht brüllte er weiter nach »Keeerstiiin.«
    Gandhi kam bellend aus dem Bad gesaust, rutschte prompt auf der Akte aus und verstreute die Seiten im Zimmer. Mit einem abschließenden »Wuff« ließ er sich auf die Dielen fallen. Carina seufzte. Langsam gingen ihr die Ideen aus. Ihr Blick fiel auf die Kaufhoftüte mit dem Plastilin. Sie zupfte ein Stück davon aus der Verpackung und begann zu kneten, formte einen Affen wie den, den ihr dieser Krallinger angeblich geschenkt hatte, und zeigte ihn Sandro.
    »Hier ist Kerstin.«
    Sandro hielt einen Moment inne, linste durch die Finger und tobte weiter.
    Sie stellte den Affen zu dem Brotkopf auf die Sockelleiste, knetete eine neue Figur, zwirbelte lange Ohren und einen Stummelschwanz aus einer Kugel.
    Das Heulen verebbte.
    »Wenn ich nur wüsste, wie Kerstin aussieht«, murmelte Carina und tat so, als bemerkte sie nicht, dass Sandro sich aufsetzte, auch ein Stück Plastilin abbrach und in den Händen drehte, wie er es bei ihr beobachtet hatte. Sie arbeiteten beide schweigend und ganz vertieft. Nur Gandhis Schnarchen war zu hören. Nach einer Weile reichte ihr Sandro einen langen schweren Klumpen, aus dem so was wie Arme und Beine ragten. Sie wagte nicht zu fragen, ob das Kerstin war; nicht dass er wieder zu weinen anfing.
    »Der ist vorne ein Mensch und innen drin ein Hund«, erklärte er. »Der kann sich verwandeln, wenn er mag, schau.« Mit einem Seufzer, weil sie für seine Kunst wohl zu schwer von Begriff war, kuschelte er sich in ihren Schlafsack, legte den Hundemenschen oder Menschenhund neben sich, klopfte noch eine Weile darauf herum und verformte ihn wieder.
    Nach einem Blick auf ihre Handyuhr seufzte Carina auch. Eigentlich sollte sie noch ins Institut fahren und mit der Rekonstruktion beginnen. Wie auf Kohlen hockte sie hier und wartete.
    Plötzlich durchfuhr es sie. Was, wenn Rosa Salbeck sich

Weitere Kostenlose Bücher