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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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auf ihn gewartet, habe gedacht, er käme nicht mehr und sie würden sich nie wiedersehen. Als er die Handkarre über den Bordstein hievte, verrutschten die Tücher, mit denen er den Kasten verhüllt hatte. Sie juchzte. Dass er Musiker sei, freue sie sehr. Ob er ihr was vorspielen könne? Wie ein Kind hüpfte sie neben ihm auf dem Gehsteig, hielt den Schal, damit er bei dem Gehopse nicht verrutschte. Bis auf die Augen und die Nase verbarg sie sich, reizte ihn so bis aufs Äußerste. Aber gleich würde er sie entblättern, Schicht um Schicht. Romeo begann zu schwitzen und zog sie hinüber zur anderen Straßenseite, auf die der Schatten fiel. Ihr schien die dampfige Schwüle nach dem Regen nichts auszumachen, sie schlang sich den Schal nur noch fester um den Hals. »Aber wir reden bloß von mir. Was machst du so, wenn du nicht Geige spielst? Ich weiß, ein Musiker spielt immer, in der Straßenbahn habe ich mal einen beobachtet, der hat Noten gelesen wie andere ein Buch.« Sie griff sich ans Handgelenk, als wollte sie ihre Uhr richtig herumdrehen. Dabei hatte sie gar keine. War sie nervös oder juckte sie etwas?
    Endlich waren sie in seinem Reich angelangt. Er legte den Finger auf die Lippen und hob den Geigenkasten heraus. Sie zwitscherte weiter; still sein, das lag ihr nicht. Er schob die Handkarre in die eine Kammer, sperrte wieder ab und schloss die Kammer gegenüber auf. In der hatte er extra aufgeräumt, sogar gekehrt und seine Sammlung an dem großen Eichenfass neu drapiert. Sein Vorgänger hatte das Fass hier hereinbugsiert, vermutlich weil draußen unter der Dachrinne die Leute ihren ganzen Müll hineingeworfen hatten. Romeo fand es sehr praktisch, so musste er nicht jedes Mal den halben Park durchqueren, wenn er Wasser zum Gießen brauchte. Wegen der Trockenheit dieses milden Herbstes hatte er das Fass schon halb geleert. Erst an Maries Entdeckungstag, als es so geschüttet hatte, war durch den Schlauch in der Mauer von der Dachrinne wieder Regenwasser nachgelaufen; noch ein, zwei Tage Regen mehr, und es war wieder voll. Er drückte seine neue Eroberung auf den Gartenstuhl, den er mit der restlichen Laternenfarbe gestrichen hatte.
    »Ist das finster hier, hast du kein Licht?«
    Er zündete eine Kerze an. Endlich konnte er ihre Schönheit von nahem betrachten. Das Kerzenlicht verlieh der kleinen Kammer etwas Feierliches, verwandelte sie in eine kleine Kapelle. Draußen brauste gedämpft der Verkehr vorbei, doch mit etwas Fantasie konnte das auch Meeresrauschen sein. Sie beide auf einer Insel, von der Außenwelt abgeschnitten. Evas Wohnzimmer war dagegen banal gewesen, weißer Teppich hin oder her.
    Er betrachtete sie erneut, als sähe er sie zum ersten Mal. Das tat er ja auch in einer gewissen Weise. Die sanften Augen und ein Stück der nicht mehr ganz glatten, aber doch weich wirkenden Stirn verhießen ihm das Ersehnte. Ihre schmale Nase, die in einer lang geschwungenen Linie von den Augenbrauen wegführte. Auf einmal begriff er, dass das der Blick war, den er in allen Frauen gesucht hatte, in Marie, in Eva, in allen anderen Straßenbekanntschaften. Seine verlorene Erinnerung bündelte sich hier, bei ihr. Es war zwar eng zwischen seiner Sammlung, doch ihr gefiel es, sie hielt es für das Paradies. Sie, die Neue, würde sein Juwel werden, das Prunkstück seiner Glyptothek. Jetzt, wo er sie hier bei sich hatte, war er so ruhig wie ein See, der alles in sich trug. Auch die Forelle schwieg, planschte ganz leise und entspannt. Gleich würden die Neue und er vereint sein – sobald er sie berührte, den Schal fortzog. Er würde ihr die Falten auf der Stirn und um die Mundwinkel glätten. Dann würde sie still sein, schweigen wie er. Nur die Schwingungen ihrer Worte würde er vielleicht noch in ihrer Haut spüren, wie ein Geiger die Musik in den Sehnen seines Instruments. Wenn er nur endlich ihr Gesicht besaß. Er ließ die Scharniere des Kastens aufschnappen.
    Noch sprach sie. Sie habe etwas, das sie retten könne, das viel Geld bringen würde. Er verstand nicht, wollte nichts mehr hören. Bekam sie Angst und wollte sich freikaufen? Angst war schlecht, die verkrampfte ihre Gesichtszüge. Außerdem würde er sie gleich in die Ewigkeit retten, was zählte da Geld? Er klappte den Deckel auf und strich über die Klingen. Welche sollte er diesmal wählen?
    »Spielst du auswendig?«, fragte sie und legte den Schal ab. Dann kratzte sie sich am Hals. »Kannst du ein Fenster aufmachen oder die Tür, hier ist es ein bisschen

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