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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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warum hast du ihn mir nicht gegeben?«
    »Hab ich doch.« Er riss die Verpackung auf und ließ sie fallen. »Er klebt auf deinem Klodeckel, damit du ihn gleich angucken kannst.« Carina war kein Zettel aufgefallen, aber der Deckel war auch oben gewesen, da Sandro und sie in der vergangenen Nacht ständig auf dem Klo gewesen waren. Also hatte ihre Schwester gestern vorm Kindergarten etwas für sie aufgeschrieben. Warum hatte sie ihr das nicht in der Glyptothek gesagt? Carina hob die Verpackung auf und warf sie in den Mülleimer unter der Spüle, bedankte sich bei Frau Dornbeck und trat ins Treppenhaus, froh, wieder nikotinfreie Luft einzuatmen. Sie hatten keine Zeit mehr, zurück zur Franziskanerstraße zu fahren und nach dem Zettel zu suchen. Sandro musste in den Kindergarten, und auf Carina wartete die Gesichtsrekonstruktion. Sie marschierten zur Bushaltestelle. Noch vier Minuten, stand auf der Anzeigetafel. »Hat die Mama dir vorgelesen, was sie für mich geschrieben hat?«, versuchte es Carina.
    »Die Mama liest mir niiie vor, immer wenn ich noch gar nicht eingeschlafen bin, hört sie mit der Geschichte auf.« Sandro verschlang das weiche Eis mit großen Bissen, flüssige Schokolade lief ihm in den Ärmel, Frau Dornbecks Kühlung war wohl zu niedrig eingestellt. Nun versuchte er den Kaugummi, der im Eisstiel versteckt war, aufzukriegen. Nachdem sie ihm geholfen hatte, klebten auch Carinas Hände. »Hat die Mama gesagt, wo sie hingeht?«, bohrte sie weiter.
    Sandro schob sich die ganze Kaugummistange auf einmal in den Mund und brachte keinen Ton heraus. Der Bus kam. Carina wartete, bis sie einen Sitzplatz fanden, und wiederholte dann die Frage.
    Sandro kämpfte immer noch mit dem Kaugummi. Er spuckte ihn aus, wog ihn in der Hand, antwortete endlich. »Sie redet ganz woanders in ein Mikrofon, und das kann ich dann in meinem Zimmer anhören, wenn sie da draußen reinspricht.«
    »Und wo ist da draußen?«
    Er tippte mit dem Kaugummiklumpen auf die Fensterscheiben im Bus. »Draußen halt, siehst du doch.« Er wollte sich den Kaugummi wieder in den Mund stopfen.
    Sie hielt ihn zurück. »Was hat sie noch gesagt?«
    »Dass sie mich lieb hat und tschüss, nein ciao, hat sie gesagt und mir kein Bussi gegeben wegen ihrem Lippenstift. Das war gut.«
    Im Kindergarten spuckte er den Kaugummi auf den Boden, hob ihn allerdings wieder auf, als Carina ihn ermahnte. »Gehen wir in den Zirkus und ins Kino und in den Zoo? Mama hat gesagt, dass du mit mir alles machst, nicht immer nur mit den toten Indianern.« Er reichte ihr den verdreckten Klumpen. »Schenk ich dir, wenn ich dafür die kleine Taschenlampe kriege.«
    Carina hakte sie von ihrem Schlüssel ab und hängte sie ihm zu seinem anderen Spielzeug an die Gürtelschlaufen.

33.
    Romeo hatte sich getäuscht. Sie war doch nicht die Richtige. Ihr Gesicht glich eher dem eines Fisches als dem einer Frau. Einen Pickel hätte er ja noch verziehen, aber das? Die Forelle in seinem Kopf schlug um sich, war kaum zu beruhigen. Deshalb der Schal, deshalb die Geheimniskrämerei. Sie hatte ihn gelinkt, mit nicht vorhandener Schönheit geblendet.
    Er zog das Messer aus ihrer Brust und schabte ihr die Schuppen vom Gesicht, aber die Haut war dennoch nicht zu gebrauchen. Selbst wenn er die wenigen makellosen Flecken heraustrennte, würde er wieder nichts besitzen. Er war wieder am Anfang, genau wie bei Marie. Das Gesicht dieser Frau war zwar noch warm und löste sich leichter, bloß was nutzte das? An ein Gesicht wie dieses wollte er sich doch gar nicht erinnern. Sie hatte alles zerstört. Wie konnte sie ihm das antun? Die Forelle zappelte, squashte mit den Flossen gegen sein Schädelinneres, als wäre er der Ball und sie der Schläger. Er stieß die Klinge in die erstarrten Augen der Frau, zerteilte die Lippen und zerschnitt ihre Ohren, säbelte auf ihrer Nase und den Wangen herum, bis ihre Fratze zerfetzt war. Nun hatte sie ihn auch noch beschmutzt. Bluttriefend wankte er zum Regenfass und wusch sich den Dreck ab. Als ob er nicht genug zu tun hätte, musste er sie jetzt auch noch loswerden und die Kammer wieder saubermachen. Das Spielplatzgrab konnte er nicht noch einmal benutzen, und die aufgeregte Forelle lenkte ihn ab – wie sollte er da denken? Er sperrte die Kammer ab, lief durch den Garten, sperrte wieder auf in der Hoffnung, dass sie weg war, wie sie auch sofort aus seiner Erinnerung geschlüpft war, sobald er ihr den Rücken zukehrte. Die ganze Nacht irrte er umher, wusste nicht ein

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