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Die Gesichtslosen

Die Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amma Darko
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Aber woher willst du wissen, daß sie es dabei belassen hat? Du Idiot! Ich kann dir sagen, was sie getan hat. Sie hat nicht damit aufgehört, sondern hat alle seine Nachkommen ebenfalls verflucht. Das hat sie getan. Alle seine Nachkommen. Und wenn du einigermaßen verstanden hast, was dieses Wort bedeutet, dann sage mir, ob die Tochter eines Mannes nicht zu seinen Nachkommen zählt. Sag’s mir.»
    Kwei hob die Arme. «Und wenn schon, Mutter! Und wenn schon!»
    Kwei war Steinmetz von Beruf, aber er hatte keine Arbeit und lebte noch von seiner Mutter, für die er schon deshalb immer noch ein kleiner Junge war. Daß er keinen Job, aber trotzdem ein Mädchen geschwängert hatte, war für die Mutter kein Problem. Ein Kind war immer willkommen. Das vergrößerte die Anzahl ihrer Enkel, und das machte sich irgendwann einmal gut auf der Todesanzeige. Aber mußte es ein Mädchen sein, das mit einem solchen Fluch behaftet war?
    Deshalb wiederholte sie: «Unsere ganze Familie will nichts zu tun haben mit dieser Schwangerschaft. Nichts.»
    Sie holte eine Tasse Wasser, wusch ihre Hände zu Kweis Füßen und erklärte: «So, hiermit habe ich mich von dir losgesagt und reingewaschen.»
    Kwei war jetzt auf sich allein gestellt. Er suchte sich etwas Geld zusammen, kaufte eine Flasche Schnaps und verkündete Maa Tsurus Familie, daß er gekommen war, um Flagge zu zeigen.
    Drei Mitglieder der Familie nahmen das Geschenk im Namen der Familie an: eine Tante, Gott hab sie selig, eine Großtante, inzwischen allen bekannt als Naa Yomo, und ein Onkel, der die Flasche persönlich entgegennahm. Sie waren dankbar, daß Kwei bereit war, die Verantwortung für die Schwangerschaft zu übernehmen. Zumindest handelte er verantwortungsbewußter als Maa Tsurus Vater. Sie wünschten ihm ein langes Leben und inneren Frieden.
    Kweis Mutter jedoch sorgte nicht mehr für ihn. Seine ganze Familie behandelte ihn wie einen Aussätzigen. Von innerem Frieden konnte also keine Rede sein.
    Kwei hielt das nur wenige Tage aus, dann beschloß er, von zu Hause wegzugehen. Vorher informierte er die Familie von Maa Tsuru.
    «Da ein Baby unterwegs ist, muß ich mich auf Arbeitssuche machen», erklärte er.
    «Wo willst du hin?» fragte man ihn.
    «Das weiß ich noch nicht.»
    «Wie lange wirst du fortbleiben?»
    «Das weiß ich auch noch nicht.»
    Maa Tsuru vergoß ein paar Tränen. Das Lächeln kehrte zurück, als Kwei sie bat, für ihn zu beten, damit er mit viel Geld zurückkomme, um für sie und ihr Kind zu sorgen.
    Kwei blieb mehrere Monate weg. Er ließ die ganze Zeit nichts von sich hören. Doch Maa Tsuru mußte nicht hungern. Sie ging ihrer Tante beim Kenkey-Verkauf zur Hand, und somit hatte sie genug zu essen. Und eines Tages kündigten die zwei kleinen Mädchen vor dem Compound das Unerwartete an: Kwei kehrte zurück.
    Er kam mit leeren Händen, er hatte wenig Geld mitgebracht, dafür jede Menge Narben am Körper.
    «Weniger Narben am Körper und dafür mehr Geld wäre besser gewesen», bemerkte Maa Tsurus Onkel.
    Wo er denn gewesen sei und was er gemacht habe, weigerte er sich zu erzählen. Es kamen Gerüchte auf, er sei in schlechte Gesellschaft geraten und habe Material von Baustellen in Accras Neubaugebieten gestohlen. Kwei äußerte sich nicht zu diesen Verdächtigungen, entkräftete sie aber auch nicht. Er hätte ja nur zu sagen brauchen, wo er gewesen war und was er getan hatte. Maa Tsurus Tante fing an, sich Sorgen zu machen. Kweis Mutter sang ihrem Sohn triumphierend das altbekannte Lied «Hab ich es dir nicht gleich gesagt». Naa Yomo warnte davor, dem Aberglauben in den Köpfen der Leute das Bett zu bereiten. Mitten in diesem ganzen Durcheinander schaffte es Kwei, Maa Tsuru wieder «herumzukriegen», indem er ihr bessere Aussichten für ihren Sohn versprach. Maa Tsuru lebte weiterhin bei ihrer Familie, und Kwei ging zurück zu seiner Mutter und ihrer Familie. Dort konnte er wieder sein altes Zimmer beziehen.
    Kwei und Maa Tsuru hätten auch nicht unbedingt unter einem Dach gelebt, wenn sie verheiratet gewesen wären. In ihrem Fall jedoch entsprach die Wohnsituation ihrer Beziehung. Gleichwohl gewöhnte sich Maa Tsuru daran, Kwei zu versorgen, als wären sie ein richtiges Ehepaar. Sie kochte und ließ ihm das Essen bringen, sie verbrachte die Nacht bei ihm und kehrte am nächsten Morgen in ihr Haus zurück. Ihre Tante konnte ihren Abscheu nicht verhehlen: «Es ist schon schlimm genug, daß er einen Sohn mit dir hat und trotzdem den Heiratsritualen

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