Die Gesichtslosen
Seine Augen waren ein bißchen zu fest geschlossen. Auch seine Augenlider flatterten leicht. Kabria mußte sich zusammennehmen, um nicht laut loszulachen. Das hinderte die ‹Jezabel› in ihr nicht, ein bißchen gemein zu werden. Sie brachte ihr Gesicht ganz nah an seins und blies ihren warmen Atem in sein Gesicht. Adades Augen bewegten sich jetzt unter den Augenlidern noch heftiger und unkontrollierter hin und her. Kabria legte die Hand auf den Mund, um nicht laut loszuprusten. Adade war offensichtlich wach geblieben und hatte auf sie gewartet. Wahrscheinlich bis er Dinas Auto gehört hatte. Aber das wollte er vor ihr verbergen, und deshalb würde er auch nicht erfahren, wie sehr sie das freute. Es war viel schöner, das eheliche ‹Schlange-und-Leiter›-Spiel weiterzuspielen.
Sie ersparte ihm weitere verführerische Atemzüge auf dem Gesicht und überließ ihn seinem wohlverdienten tiefen, friedlichen Schlaf.
KAPITEL 13
Es war Sonntag nachmittag. Im Fernsehen lief ein Film über ein junges Mädchen, dessen Leiche in den Wäldern rund um eine amerikanische Kleinstadt gefunden worden war. Das Mädchen war als eine von zwei leichtlebigen Schwestern in der ganzen Stadt bekannt gewesen. Kaum jemand zeigte Interesse, herauszufinden, wer es getötet hatte. Es hatte bekommen, was es verdiente. Also führten die kurz nach ihrem Tod aufgenommenen Ermittlungen auch zu keinem Ergebnis. Nur eine ehemalige Freundin der beiden Schwestern wollte nicht aufgeben. Ihre Hartnäckigkeit sicherte ihr schließlich die Aufmerksamkeit und Hilfe der Medien. Dank gemeinsamer Anstrengungen wurden die beiden Schuldigen gefaßt. Es waren genau jene beiden Polizisten, die mit den Ermittlungen beauftragt worden waren.
Das anhaltende Interesse von MUTE an Fofo und ihrer verstorbenen Schwester Baby T führte dazu, daß auch Sylv Po von Radio Harvest FM immer mehr in die Geschichte eintauchte, vor allem nachdem Dina ihn mit weiteren Details über Fofo versorgt hatte. Er vereinbarte mit seinem Sender eine ganze Serie über Straßenkinder in seiner Guten-Morgen-Ghana-Show. Fofos Geschichte diente als eine Art Fallbeispiel. Sein erster Studiogast war Mrs. Kamame von einer Organisation, die vor ein paar Monaten eine Studie über Straßenkinder in Accra durchgeführt hatte. Sie bestätigte, daß Fofos Geschichte typisch sei für viele Schicksale, denen sie im Rahmen ihrer Arbeit begegnet waren. Sylv Po wollte wissen, welche Faktoren für diese Situation hauptsächlich verantwortlich seien.
«Die vordergründige Ursache ist die Armut», begann Mrs Kamame. «Ich sage aber bewußt vordergründig», fuhr sie fort, «denn wir haben etliche sehr arme Eltern getroffen, die ihre Kinder trotz ihrer sehr schwierigen Lage niemals auf die Straße schicken würden.»
«Dann gibt es also noch weitere Faktoren, die eine Rolle spielen?» fragte Sylv Po.
«Ja, die gibt es», stimmte Mrs. Kamame zu. «Die Abwesenheit der Väter zum Beispiel, aber auch Ignoranz, Verkennung der Realitäten, merkwürdige Weltanschauungen und – was vielleicht am deprimierendsten ist – schiere Verantwortungslosigkeit und völlig falsch gesetzte Prioritäten.»
Weder Sylv Po noch Mrs. Kamame konnten ahnen, daß ihre Diskussion irgendwo da draußen eine ganz schöne Unruhe verursachte. Genau wie einfache Kriminelle niemals eine Fahndungssendung verpassen, um herauszufinden, welche Pläne die Gesetzeshüter gerade gegen sie hegen, so erregte auch Sylv Pos Programm einschlägiges Interesse.
«Wenden wir uns dem Thema der abwesenden Väter zu», bat Sylv Po seinen Studiogast.
«Es ist nicht einfach der Vater, der die Verantwortung für das Kind ganz ablehnt, es ist auch der Vater, der eine sehr eingeschränkte Vorstellung davon hat, was ein Vater zu tun hat, und der seine Aufgabe als erfüllt ansieht, solange er das Schulgeld bezahlt, dafür sorgt, daß etwas zu essen auf dem Tisch steht und seine Kinder etwas zum Anziehen haben», erklärte Mrs. Kamame. «Doch der signifikante Unterschied zwischen den zwei Beispielen, die ich gerade genannt habe, besteht darin, daß bei letzterem das Kind nicht unbedingt auf der Straße landet, um seinen Lebensunterhalt zu erbetteln, während das bei ersterem schon eher der Fall sein kann. In beiden Fällen aber trägt die Mutter die Verantwortung allein. Sie ist die einzige, die sich der seelischen, körperlichen und finanziellen Bedürfnisse des Kindes annimmt. Sie ist also doppelt und dreifach belastet.»
«Hallo! Hallo!» wurden
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