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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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und sonstige bemerkenswerte Himmelsmeldungen warten, kannten Walter nicht. Ein Herr vom Ufo-Notruf-Telefon in Leipzig war so freundlich und schaute in seiner Mitgliederkartei nach. Auf all diesen Spuren fuhr ich voll gegen die Wand. Und auch Johnny Meese gab mir keinen Anlass, dieser Geschichte weitere Zeilen hinzuzufügen, befand er sich doch auf einer Ausstellungstournee. Allerdings passierte dann doch noch etwas.
    Ein Freund wollte ein Buchpaket aus Walters Bestand zum Thema Cowboys und Outlaws kaufen. Allerdings war dieses Konvolut hochpreisig angesiedelt und der Freund wollte handeln. Bevor er den Antiquar anrief, gab ich ihm eine Liste mit Fragen und hämmerte ihm ein: Zuerst sollte er fragen, wie die Bücher gelagert worden waren – rochen die Bücher komisch? – wie und wo würden die vielen Bücher aufbewahrt? Über diese Frage ließe sich vielleicht in Erfahrung bringen, wie der Sammler gelebt hatte und was er arbeitete. Und der Freund hatte Glück, die Quelle begann zu sprudeln, und das genoss mein detektivischer Assistent. Denn auch er bemerkte, dass der Antiquar ein besonders harter Brocken war, der manches Mal die Erzählung abbrach, insbesondere, wenn es um die Todesursache und den Beruf des Sammlers ging. Da sagte er doch tatsächlich: »Das geht jetzt zu weit!« Dennoch lieferte er – ohne es zu wissen – folgende neue Informationen:
    Der fanatische Sammler war ein »Messie«, der Bücher, Hemden und unbeschriftetes Papier sammelte.
    Die Bücher wurden in Regalen gelagert. Das Haus war komplett mit Regalen zugestellt, durchs Haus führten nur noch Pfade.
    Die Sammlung hatte keinen Themenschwerpunkt. Er sammelte »jeden Scheiß, viel billiges Zeug«.
    Der Sammler lief fast täglich von einem Antiquariat zum nächsten und hat mindestens zwanzig Bücher pro Tag gekauft.
    Er war vermutlich schlau, aber kein Mann der Wissenschaft, eher trivialwissenschaftlich interessiert.
    Und auf die Frage nach dessen Beruf machte der Antiquar folgende rätselhafte Bemerkung: »Es gibt auch Jobs, wo man viel Zeit hat und trotzdem gut verdient.«
    Nach diesem Informationsgewitter rief ich wie unter Zwang ein Dutzend Antiquariate in der Heimatstadt des Sammlers an und fragte, ob sie sich an einen bibliomanischen Mann erinnern könnten, der bis zu zwanzig Bücher täglich kaufte, über Jahrzehnte, und nannte abschließend auch den kompletten Namen von Walter. »Ja, da gibt es mehrere, die täglich zwanzig Bücher kaufen«, sagten die Buchhändler, doch sie kannten Walter nicht. Meine Neugier ließ sich nicht befriedigen, und sie wurde immer unangenehmer. Waren es die Geisterbücher selbst, die mich anstachelten, mehr über ihren vormaligen Besitzer zu erfahren? Sie lagen immer noch in dem Karton. Was sollte ich mit diesen Schwergewichten tun, ihnen etwa neue Regalmeter in meiner Wohnung einräumen? Immernoch gehörten Walter diese Bücher, viel mehr noch als zu Beginn der Suche. Wie ein Kinderdetektiv stolperte ich zwischen den Stichworten zu einem verblassten und traurig anmutenden Erwachsenenleben herum, in der Annahme, dies alles sei verzaubertes Land und geheimnisvoll. Was versteht schon ein Kinderdetektiv von einem Mann, der Hemden, unbeschriftetes Papier und Bücher sammelt. Messies wollen die Grenzen des eigenen Lebens nicht akzeptieren, sie horten, um stets alles zur Verfügung zu haben, als würden sie ewig leben, heißt es in der Fachliteratur. Walter gelangte dann an die Grenze seines Lebens, und wenn ihm vor dem Tod noch bewusst geworden ist, dass auch seine Bücher ihn nicht würden halten können, dann war das sicher kein gnadenvoller Moment für ihn. Nach seinem Tod verramschte die Familie das irre Lebenswerk und befreite das Haus von den Regalen, die sich als labyrinthische Mauern eines seelischen Gefängnisses durch das Gebäude zogen. Walters Sammlung steht nun im Netz, sorgfältig nach Themengebieten geordnet, so ordentlich wie noch nie zuvor, in Geduldspakete gepackt und versendungsfertig. Zu kaufen für dich und mich. Ein winziger Teil seiner Welt landete so in Berlin und erzählt etwas von der Traurigkeit der Gespenster, die sitzen auf staubigen Büchern, tragen weiße Hemden und fassen nach unbeschriftetem Papier.

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