Die Gespenster von Berlin
erhalten. Und als ich mein Buchpaket abermals betrachtete und mich fragte, wer außer mir so was Irres kaufen würde, fiel mir plötzlich ein Berliner Bekannter ein: Jonathan Meese. Der bekannte Künstler Jonathan Meese natürlich, mit dem ich gelegentlich bei Feierlichkeiten in seiner Galerie Contemporary Fine Arts zusammentreffe, mit dem ich getanzt und gealbert und Eierlikör getrunken und mich intensiv über den großen Ludwig Tieck, insbesondere den blonden Eckbert und die Gänsehaut-Romane von A. L. Stine unterhalten habe. Von Nerd zu Nerd haben wir uns gewissermaßen abgeklopft. Ja, und hatte Jonathans Mutter nicht kürzlich im Fernsehen gesagt, ihr Sohn fröne vor allemzwei Leidenschaften: dem Essen und dem Kauf von Büchern. Ich hatte möglicherweise meinen perfekten Helfershelfer gefunden. Gefallen würden ihm die Konvolute des Antiquars, die ich ihm aus dem Internet fischte, sicherlich: Über Räuber und Briganten, über Meeresungeheuer, über den Jeti und Bigfoot, über Kriege im Mittelalter, über Samurai, über das Turiner Grabtuch, über Hexen und Dämonen, über Giftmorde und absonderliche Kriminalfälle. Der Antiquar hatte sich sogar die Mühe gemacht, jedes Bücherpaket auf seinem Parkett auszulegen, die Buchtitel zu fotografieren. Die schönen Cover kamen prächtig zur Geltung, wie könnte Jonathan Meese da widerstehen. Meese-unmöglich. Mit den Ausdrucken in der zittrigen Hand rief ich Jonathan an. Natürlich drang ich nur bis zu Doris vor, seiner resoluten Assistentin. Immerhin meinte sie sich an mich zu erinnern, und ich erzählte ihr die Geschichte von der außergewöhnlichen Bibliothek eines verstorbenen Sammlers, die nun zum Verkauf stand. Ob Jonathan nicht auch kaufen wolle? Doris bestätigte Jonathans große Liebe zu ausgefallenen Büchern und war sogar damit einverstanden, eine eventuelle Bestellung über mich abzuwickeln.
»Der Antiquar ist ein Mega-Arschloch«, sagte ich. »Der will mir was Bestimmtes nicht verraten, aber ich brauche eine Information von ihm für eine Geschichte, die ich gerade schreibe. Und jetzt brauche ich ein Druckmittel. Verstehst du?«
»Ungewöhnlich, aber wieso nicht«, sagte sie. »Allerdings kann ich dir nichts versprechen. Ich müsste Jonathan die Liste erst einmal vorlegen, und wir sind dauernd unterwegs, heute hier und morgen da.«
Sie nannte mir eine Postfach-Adresse. Dahin schickteich umgehend die ausgedruckten Listen. Jetzt war es an Johnny Meese, seinen Teil zur Geschichte beizutragen. Aber würde mir der berühmte Künstler wirklich zu meiner Geschichte über den fanatischen Sammler verhelfen können? Mit diesem inneren Kliffhänger musste ich einige Zeit leben und derweil bereitete ich mich auf meine nächsten Telefongespräche mit dem abweisenden Antiquar und einem Ufo-Club in Lüdenscheid vor.
Die bisherige dezidierte Erzählweise muss nun aufgegeben werden und einer rascheren Zusammenfassung der Ereignisse weichen. Denn es kostete wochenlange Mühe, einen deutschen Ufo-Verein zu finden, in dem sich mein fanatischer Sammler getummelt haben mochte. Meine allergrößte Hoffnung galt der »Mufon-Ces«, einer Gruppe von »Akademikern und Detektiven«, die ihren Sitz in jenem Bundesland hat, in dem der Geisterbuchsammler gelebt hatte. Die »Mufon-Ces« glaubt, dass die Erde von Außerirdischen und Zeitreisenden besucht wird. Sie stützt sich dabei auf die Theorien des umstrittenen Physikers Burkhard Heim und vor allem seine Theorie der 6-dimensionalen Quanten-Geometrodynamik, wonach es Parallelwelten gibt, in die das Bewusstsein nach dem Tod übergeht. Eine weitere Kernidee dieser Gemeinschaft ist, dass Raumflüge der Zukunft vor allem Zeitreisen sein werden und Ufos eben als Reisebehältnisse aus verschiedenen Erd-Zukünften dienen. Die Ufo-Besatzungen bestehen aus kleinen grauen Bio-Robotern – den so genannten »Grauen« (den »greys«), die wie Lebewesen wirken – und Menschen aus der Zukunft. Sie sammeln bei uns menschliche Erbmaterialien, vor allem Spermien und Ovarien. Sie interessieren sich nicht für den deutschen Fußball, für dieLandschaft oder Kultur, sie gehen sehr gezielt vor. Sie würden sich auch nicht für die Bücher des fanatischen Sammlers interessieren. Nicht einmal der erste Vorsitzende der Mufon-Ces, ein Herr namens Illobrand von Ludowiger, kannte den Namen meines Sammlers. Und auch die anderen Männer, die deutschlandweit abends an den Notruf-Telefonen der maßgeblichen Ufo-Vereine sitzen und auf interessante Ufo-Sichtungen
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