Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4
funkelte Prickett wütend an. Doch im trüben Kerzenlicht konnte dieser sein Gesicht vermutlich nicht einmal sehen.
»Meine Zuträger berichten mir, dass Wydowse überall auf dem Schiff verborgene Berichte hinterlassen hat«, fuhr Prickett in gelassenem Ton fort. »Der andere Schiffsjunge, Nicholas Symmes, der arme Tropf – er kann, wie so viele an Bord, nicht einmal lesen –, hat zugegeben, dass er für Wydowse Papiere oben im Krähennest versteckt hat. Er hatte keine Ahnung, was er da versteckte. Aber um Wydowse endgültig zum Schweigen zu bringen, sollte ich sie vielleicht zusammen mit diesen hier vernichten? Meinst du nicht?« Mit höhnischem Triumph sah er Jonas an. »Ach ja, richtig – dich habe ich auch zum Schweigen gebracht.«
Das Hohnlächeln wurde zu einem arroganten Grinsen, als Prickett die Augenbrauen hochzog.
Dieser Gesichtsausdruck … er sieht irgendjemandem ähnlich. Und das ist nicht Billy Rivoli zu Hause, dachte Jonas.
Es war verrückt, in einem solchen Moment über Pricketts Aussehen nachzudenken.
»Nicht!«, stieß Jonas hervor. »Sie können doch nicht –«
»Was? Willst du mich vielleicht aufhalten?«, fragte Prickett.
Lachend wirbelte er herum und ging zu den Wanten, die zum Krähennest hinaufführten.
»Ich halte ihn auf!«, zischte Katherine und folgte ihm.
»Nein, Katherine – nicht allein! Hol mich hier raus! Ich komme mit dir!«, rief Jonas ihr gedämpft nach.
Einen Augenblick lang dachte er, Katherine würde ihn ignorieren. Sie rannte weiter. Doch dann wandte sie sich in der Dunkelheit halb zu ihm um.
»Das wird auffallen«, sagte sie, immer noch gewillt weiterzurennen. »Ich kann dich nicht rausholen, ohne Spuren zu hinterlassen.«
»Das spielt keine Rolle!«, zischte Jonas. »Schnell! Die Axt!«
Katherine sah sich um. Es gab so wenig Licht. Würde sie viel Zeit damit verschwenden müssen, herumzutasten, um die Axt zu finden? Nein, da war sie. Sie hob sie auf und schlug damit auf das Schloss, das den Pranger zusammenhielt. Jonas hörte Holz splittern.
»Hat nicht ganz funktioniert … noch mal«, flüsterte Katherine.
Pricketts Windlicht war inzwischen so weit entfernt, dass Jonas nicht einmal sehen konnte, wie Katherine die Axt schwang. Es war zu dunkel. Doch er spürte die Erschütterung des Holzes, als die Axt aufschlug. Dann hob Katherine über seinem Kopf und den Händen das obere Brett des Prangers an.
»Los komm!«, flüsterte sie.
Sie rannten zusammen los.
Dreißig
Jonas’ Beine waren steif nach den endlosen Stunden am Pranger. Katherine war deutlich früher als er an den Wanten.
»Warte!«, rief er. »Wir klettern zusammen hoch!«
»Aber Prickett entwischt uns!«, rief Katherine ihm über die Schulter zu und kletterte los.
Sie hatte recht. Da Prickett das Windlicht dabeihatte, konnten sie seine Fortschritte gut erkennen. Er befand sich einige Meter über ihnen und das Licht schraubte sich gleichmäßig schwankend in die Höhe.
Hält er das Windlicht mit den Zähnen fest?, fragte sich Jonas. Oder hat er es irgendwie an seinem Arm befestigt?
Es ärgerte Jonas, dass sein Verstand sich in einem solchen Moment um derart unnütze Einzelheiten sorgte. Auf was er sich wirklich konzentrieren musste, war, seine schmerzenden Muskeln wieder zum Leben zu erwecken und Arme und Beine in einen Top-Kletterzustand zu bringen. Er musste schnell sein, um Katherine einzuholen – und Prickett.
Er packte die erste Webleine und versuchte sich hochzuziehen. Seine Arme schlotterten.
Na schön, dachte er. Der Tag am Pranger hat also auch meinen Armmuskeln zugesetzt.
Er schüttelte die Arme aus und versuchte es wieder. Es war nicht gerade hilfreich, dass die Leinen so kalt und nass waren. Schon vor Stunden, als die Sonne noch am Himmel stand, hatte er Henry Hudson gewarnt, dass die Leinen vereist sein könnten. Inzwischen waren sie es vermutlich.
Seine Finger wurden so schnell taub, dass er gar nicht feststellen konnte, ob die Leinen vereist waren oder nicht.
Langsam und gleichmäßig, ermahnte ihn sein Verstand. Wenn du zu schnell wirst, stürzt du ab.
Wie kam es, dass Prickett dort oben bei dem Tempo nicht abstürzte?
Jonas sah den Mann vor seinem geistigen Auge unter unentwegtem Schreien geradewegs aufs Deck stürzen.
Doch dann erstarrte er, denn nun sah er sich selbst fallen, anstelle von Prickett.
Noch ein Stück höher und es ist hoch genug, um zu sterben, wenn ich aufs Deck knalle, dachte er.
Aber er musste Prickett daran hindern,
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