Die Gewürzhändlerin
Töchtern wie eine Henne. Ihre Stimme war im ganzen Haus zu hören. Nach dir hat sie übrigens auch gefragt.»
«Nach mir?» Überrascht hob Luzia den Kopf.
«Sie muss wohl vorher bei Frau Elisabeth gewesen sein und von ihr erfahren haben, dass du hier bist.» Prüfend sah sich Anton im Lager um. «Soll ich hier weitermachen?»
«Du gehst wieder ins Bett», widersprach Luzia. «Keine Widerrede. Du bist ganz blass, und ich sehe dir an, dass dir der Kopf wehtut.»
«Aber es ist so langweilig da oben. Und die Carissima …»
«Anton!» Luzias Stimme bekam einen ehernen Unterton. «Du hast eine Kopfverletzung. Geh ins Bett!»
«Na gut, wenn es unbedingt sein muss. Aber wenn ich an Langeweile oder an Ohrensausen eingehen sollte …»
«Nun verschwinde schon!» Lachend gab Luzia ihm einen Klaps gegen den Arm. Endlich gehorchte ihr Bruder und verzog sich maulend ins Haus.
Luzia ging zum Tisch und las die dort ausgebreiteten Listen und die Notizen auf den Wachstafeln durch; anschließend ging sie von Regal zu Regal und untersuchte die neuen Waren. Einige davon kannte sie noch nicht. Sie würde Alban fragen müssen, um was es sich handelte.
Mit Erleichterung fand sie auch einen Kasten, der die von Metza so begehrten Safranfäden enthielt. Stirnrunzelnd betrachtete Luzia den wertvollen Inhalt. Ein Vermögen war in dieser Kiste verborgen. Kein Wunder, dass Martin mehrere kräftige Knechte beschäftigte, die ihm nicht nur bei der schweren Arbeit halfen, sondern des Nachts auch das Lagerhaus bewachten. Entschlossen klemmte sie sich den Kasten unter den Arm. Sie würde die rechte Menge im Kontor mit der Feinwaage abwiegen müssen; morgen konnte sie dann die Äbtissin beliefern.
«Wied? Seid Ihr hier drinnen? Versteckt Ihr Euch etwa vor mir?», erklang plötzlich eine kehlige weibliche Stimme vor der Tür. Im nächsten Moment trat eine schlanke, schwarzhaarige Frau ein, deren tief ausgeschnittenes, faltenreiches blaues Kleid weitreichende Einblicke gewährte und unterhalb des üppigen Busens von einem breiten Gürtel geziert wurde, an dem auffällige gelbe Bänder flatterten. Ebenfalls gelb war die Haube, welche die Unbekannte trug. Suchend schaute sie sich in dem Lagerraum um, bis sie Luzia erblickte. «Huch, wer seid Ihr denn?» Sie lächelte überrascht und trat auf Luzia zu. Je näher sie kam, desto deutlicher erkannte man, dass sie nicht mehr ganz so jung war, wie es zunächst den Anschein hatte. Erste Fältchen und Unebenheiten in ihrem Gesicht hatte sie mit Reispuder kaschiert. «Ihr seid aber keine von Martins Schwestern», stellte sie fest. «Aber ich habe Euch schon mal irgendwo gesehen. Wartet!» Sie hob die Hand, bevor Luzia etwas sagen konnte. «Richtig, Ihr wart an seinem Gewürzstand auf dem Jahrmarkt, nicht wahr? Seine Gehilfin, wie man allerorten munkeln hörte. Und Leibmagd bei einer Gräfin auch noch, wenn ich mich nicht täusche. Sagt, wo steckt er? Ich muss dringend mit ihm sprechen.»
Luzia musterte die fremde Frau eingehend. Sie wusste, dass die gelben Bänder an ihrem Gürtel sie als Hübschlerin kennzeichneten. Eine Unehrliche, mit der sie eigentlich nicht sprechen durfte. Wenn Elisabeth davon erführe, wäre sie bestimmt böse. «Ich bin Luzia Bongert», stellte Luzia sich schließlich vor, weil sie die Frau ja schließlich nicht einfach ignorieren konnte. «Ich bin Herrn Wieds Gehilfin, das stimmt. Er ist im Augenblick nicht hier. Es gab einen Unfall, bei dem sein Bruder schwer verletzt wurde, deshalb musste Herr Wied umgehend nach Lahnstein reiten. Solange er fort ist, kümmere ich mich um den Gewürzhandel.»
«Um Himmels willen, ein Unfall?» Die Besucherin bekreuzigte sich erschrocken. «Wie schrecklich, davon habe ich ja noch gar nichts gehört. Weiß man schon, wie es Konrad geht?»
«Leider noch nicht», antwortete Luzia. «Wir beten für ihn und …»
«Das werde ich auch tun. Der arme Junge. Nein, wie schrecklich!» Die Fremde wirkte ehrlich betrübt.
Luzia nickte ihr freundlich zu. «Kann ich mit irgendetwas dienen, gute Frau?»
Die Besucherin lachte auf. «Ich bin keine gute Frau, Liebelein. Das sieht man doch.» Sie zupfte bedeutungsvoll an den gelben Bändern. «Mein Name ist Klarissa. Ich führe das Haus
Zur Schlange
in der Badstubengasse.» Sie hielt kurz inne. «Eine brave Jungfer wie Ihr kennt mich natürlich nicht; das verstehe ich.»
Luzia wurde rot. «Ich habe … dein Haus schon gesehen, auf dem Weg zur Badestube von Meister Engbert.»
«Nun, vielleicht wisst Ihr,
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