Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gewürzhändlerin

Die Gewürzhändlerin

Titel: Die Gewürzhändlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
Vom Netzwerk:
kein Unglück sein?»
    * * *
    Ähnliche Gedanken gingen auch Luzia durch den Kopf, als sie in ihrer Kammer im Schein der Öllampe an dem kleinen Pult saß und grübelnd die Rechensteine an ihrem Abakus hin und her schob. Seit sie die drei Teile der Reliquie wieder zusammengefügt hatten, schien diese sich in ein ganz normales Schmuckstück verwandelt zu haben. Ein sehr wertvolles zwar, aber in keiner Weise auffällig. Mehrfach hatte Luzia es inzwischen schon nachts unter ihr Kopfkissen gelegt, jedoch vergeblich auf einen seherischen Traum gewartet. Ob es womöglich nur funktionierte, wenn die drei Teile nicht miteinander verbunden waren? Doch was würde das bedeuten? Eine Reliquie, die aus drei Teilen bestand, ihre Kräfte jedoch nur zeigte, wenn eines der Teile fehlte?
    Luzia runzelte angestrengt die Stirn. Wenn eines der drei Teile fehlte … Erregt richtete sie sich auf und zog sich die Kette über den Kopf. Eingehend betrachtete sie das Kruzifix. Der Gedanke kreiste in ihrem Kopf: Wenn eines der drei Teile fehlte … Darüber musste sie unbedingt mit Bruder Georg und Elisabeth sprechen. Und natürlich mit Martin, aber ihm stand jetzt gewiss nicht der Sinn nach solchen Spitzfindigkeiten.
    Er hatte bisher noch keine Nachricht aus Lahnstein geschickt, was Luzia als gutes Zeichen wertete. Also musste Konrad wohl noch am Leben sein. Vielleicht war ja alles nicht so schlimm wie zunächst befürchtet. Bevor sie zu Bett ginge, würde sie noch einmal für ihn beten. Doch zuvor erwartete sie noch einen Besuch von Roland. Dass Bruder Georg von ihren heimlichen Treffen mit dem Gaukler wusste, bereitete ihr einiges Unbehagen. Sie kannte den Mönch seit einigen Jahren; er besaß eherne Grundsätze und genaue Vorstellungen davon, wie sich eine christliche Jungfer zu verhalten hatte. Dass er jetzt so verständnisvoll reagiert hatte, versetzte sie in Erstaunen, ließ sie jedoch umso besorgter zurück. Denn gleichzeitig hatte er ihr ja recht deutlich zu verstehen gegeben, welchen Weg er für sie als vorteilhaft sähe. Natürlich kam das ganz und gar nicht in Frage. Schon allein der Gedanke an Martin Wied ließ sie erschauern. Nicht mehr so sehr wegen seiner Brandnarben. Nein, inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, sie nicht zu beachten, sodass sie ihr immer weniger auffielen. Augustas wütende Worte kamen ihr plötzlich in den Sinn und machten sie auch jetzt noch verlegen.
    Betrübt drehte sie das Kruzifix zwischen den Fingern. Sie war nur eine schwache Frau; wie konnte man von ihr erwarten, dass sie einem Mann wie Martin – mit diesen schrecklichen Narben und seiner außergewöhnlichen Geschichte – sogleich mit Gleichmut und gar Freundschaft begegnete? Wenn sie eine Erziehung wie Elisabeth genossen hätte, wäre es vielleicht möglich gewesen. Doch bis vor drei Jahren hatte ihre Welt aus einem kleinen, wenn auch aus Stein gemauerten Bauernhaus bestanden, einem Stall mit drei Kühen, zwei Schweinen und einer Schar Hühner. Zudem gab es viel Arbeit auf den Feldern und in dem Obstbaumgarten, von dem sich ihr Familienname Bongert ableitete. Die einzigen Menschen neben ihrer Familie, mit denen sie Kontakt gehabt hatte, waren ihre Nachbarn in Blasweiler gewesen, einige Familien aus benachbarten Dörfern sowie eine entfernte Tante in Kempenich, die sie an Markttagen hin und wieder besucht hatten. Darüber hinaus war sie gelegentlich fahrenden Händlern begegnet. Von der Welt jenseits dieses beschränkten Kreises hatte sie nicht viel mehr gewusst als das, was diese Leute den Dorfbewohnern erzählt hatten.
    Das alles hatte sich schlagartig geändert, als sie in den Dienst der Grafentochter Elisabeth getreten war. Fortan hatte sie schönere Kleider getragen, sich regelmäßig baden und ihr Haar anders frisieren müssen. Dann hatte sie zu tanzen, lesen und schreiben gelernt. Sie hatte Elisabeth beobachtet und ihr abgeschaut, wie man sich höfisch vornehm ausdrückte; obendrein hatte die junge Adlige ihr beigebracht, wie man richtig ging, stand und saß. Niemals hätte Luzia gedacht, dass es derart viele Verhaltensregeln und -vorschriften für Frauen höheren Standes gab. Selbst beim Essen musste man unzählige Regeln beachten, ja, es gab sogar Fingerregeln: Sie schrieben zum Beispiel vor, wie tief man einen Finger in die Soße tauchen und mit welchen Fingern man sich Fleisch und Gemüse nehmen durfte. Mittlerweile kannte sie natürlich all diese Vorschriften und hatte sie verinnerlicht. Sie wusste sich in Gesellschaft höhergestellter

Weitere Kostenlose Bücher