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Die Gewürzhändlerin

Die Gewürzhändlerin

Titel: Die Gewürzhändlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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Roland hatte sie nicht überredet, noch einmal bei ihm zu liegen. Und auch damals, bei ihrem ersten Abschied, war sie – Luzia – es gewesen, die zu ihm gegangen war.
    Natürlich wusste sie, dass er sie nicht abweisen würde, wenn sie ihm anböte, das Lager mit ihm zu teilen. Sie waren einander sehr nahe, im Geiste und im Herzen. Zu nahe womöglich. Deshalb hatte es Luzia damals so sehr geschmerzt, ihn zu verlieren. Und ihm war es wohl ähnlich ergangen. Wenn sie nun daran dachte, dass er nach Ostern wieder fortzog, ergriff Bedauern ihr Herz und eine leichte Sehnsucht. Doch kein Schmerz. Käme dieser wohl erst, wenn es so weit war? Würde sie erneut wochenlang leiden, ihn so schmerzlich vermissen, dass es ihr körperlich wehtat? Würde sie wieder monatelang auf jedem Wochen- oder Jahrmarkt Ausschau nach ihm halten, ihre Ohren anstrengen, um herauszufinden, ob irgendwo die Melodie seiner Flöte erklang?
    Konzentriert lauschte sie in sich hinein. Sie versuchte zu ergründen, wie es um ihr Herz stand – obschon sie sich nicht sicher war, ob ihr die Antwort gefallen würde, die es ihr womöglich gab.

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15. Kapitel
    E rschöpft hielt Martin sein Pferd vor der Weißerpforte an und stieg ab. Von ferne hörte er die Glocke der Liebfrauenkirche die Mitternacht verkünden, das Geläut der übrigen kleineren und größeren Stifts- und Klosterkirchen stimmte beinahe gleichzeitig mit ein. Entschlossen klopfte er gegen die kleine Mannpforte neben dem Tor. Mit dem Wachmann hatte er eine Abmachung getroffen, ihn gegen einen kleinen Obolus zu jeder Zeit in die Stadt einzulassen. Zwar lag die Weißerpforte westlich und ein ordentliches Stück vom Weg ab, den er von Lahnstein her gekommen war, doch der kleine Umweg ersparte ihm, die Nacht in einer Herberge außerhalb der Stadtmauern verbringen zu müssen.
    Es dauerte nicht lange, bis sich das kleine Guckloch öffnete; Augenblicke später wurde der Riegel zurückgeschoben, und Martin konnte mitsamt seinem Pferd eintreten. In aller Stille wechselten zwei glänzende Münzen den Besitzer, und die Mannpforte wurde wieder verschlossen. Martin saß auf, hob kurz die Hand zum Gruß und ritt dann die Weißerstraße hinauf in Richtung des alten Grabens.
    Eine Fackel benötigte er heute Nacht nicht, denn die Schneewolken der letzten Tage hatten sich am vergangenen Abend verzogen. Nun schien ein strahlend heller, zu drei Vierteln gerundeter Mond auf Koblenz herab und erleuchtete die Gassen.
    Obwohl er sich nur noch mit äußerster Willenskraft aufrecht hielt, bemerkte Martin die Bewegung an der Einmündung zum alten Graben. Er zügelte sein Reittier. Schlich dort zu später Stunde Gesindel herum? Angestrengt lauschte er; die Stadtwache schien nicht in der Nähe zu sein. Leise stieg er ab, band das Pferd am Ast einer Eiche fest und machte sich zu Fuß auf den Weg. Seine Müdigkeit schien verflogen – ein Trugschluss, das wusste er. Lediglich sein Überlebenswille ließ ihn sich so plötzlich wach und achtsam fühlen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Räuber versuchten, Bürger innerhalb der Stadtmauern zu überfallen.
    Martin schlich zur Einmündung und spähte erst nach links, dann nach rechts. Tatsächlich erkannte er in einiger Entfernung eine Gestalt, die einen kleinen Kienspan bei sich trug. Also wohl doch kein Räuber. Aber wohin wollte die Person um diese Zeit? Etwas an der Gestalt machte Martin misstrauisch, deshalb folgte er ihr weiter die Straße entlang. Weit musste er nicht gehen. Ausgerechnet vor dem Tor von Johanns Anwesen machte der Mann halt. Martin verbarg sich hinter einer niedrigen Hecke und beobachtete mit Erstaunen, wie sich das Tor geisterhaft leise öffnete und die Gestalt hindurchschlüpfte. Was hatte das zu bedeuten? Ließ da jemand vom Gesinde einen Fremden ein? Einen Dieb gar? Oder …
    Ein anderer Verdacht keimte in ihm auf. Obwohl er ihn sogleich als absurd abtat, lief er das kurze Stück bis zum Hoftor – und stellte fest, dass es nicht wieder verschlossen worden war. Vorsichtig drückte er es ein Stück auf und schlüpfte ebenfalls hindurch.
    Der Hof lag vollkommen still vor ihm. Ins Haus konnte der Mann nicht gegangen sein. Zielstrebig steuerte Martin den Pferdestall an, den einzigen Ort neben dem Wohnhaus, in dem es sich bei der eisigen Kälte aushalten ließ. Tatsächlich konnte er nun das Gemurmel von Stimmen vernehmen.
    Er biss die Zähne zusammen und merkte, wie das Rauschen seines eigenen Blutes in seinen Ohren die Stimmen beinahe

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