Die Gewürzhändlerin
Personen zu benehmen. Dennoch war und blieb sie eine Bauerntochter. Es war geradezu lächerlich: Ein Mann von Martins Stand würde sie niemals in Erwägung ziehen! Es war vermessen, an so etwas auch nur zu denken. Weshalb also hatte Bruder Georg, der sonst so sehr darauf bedacht war, die Standesgrenzen einzuhalten, diese Möglichkeit ihr gegenüber ausgesprochen?
Obendrein wollte sie gar nicht heiraten. Weder Martin noch sonst einen Mann. Schon gar nicht Martin. Wie sollte sie jemals mit jemandem zusammenleben können, der ihr derartig überlegen war? In dessen Gegenwart ihr Herz stets unstet holperte und dessen kleinste Berührung sie so stark in Aufruhr versetzte, dass sie nicht mehr klar denken konnte? Eine solche Abneigung war ganz sicher keine gute Grundlage für eine Ehe, selbst wenn sie nicht so niedrig geboren wäre.
Sicher – eine solche Zuneigung, wie sie Elisabeth und Johann miteinander verband, konnte eine Frau nur ganz selten erwarten. Nicht viele Ehen wurden rein aus Liebe geschlossen, und selbst bei Elisabeth und Johann stand neben der Liebe noch der Vorteil, den beide Familien aus dieser Verbindung zogen. Sie waren einander ebenbürtig, und Elisabeth hatte eine große Mitgift in die Ehe eingebracht. Johann und der Graf von Küneburg waren durch die Hochzeit auch politisch eine Allianz zu beiderseitigem Nutzen eingegangen.
Luzia legte das Kruzifix neben den Abakus und tippte erneut gedankenverloren die Rechensteine an, schob sie immer wieder hin und her. Bisher hatte sie es vermieden, sich allzu intensiv mit ihrer Zukunft zu beschäftigen. Immer hatte sie sich mehr auf ihren Bruder konzentriert. Da er nun Lehrling bei Martin war, entfiel ihre Sorge um sein Wohlergehen weitgehend. Er würde später einmal Martins Gehilfe werden, vielleicht sogar selbst eines Tages einen kleinen Gewürz- oder Weinhandel beginnen. Oder vielleicht würde er für Martin umherreisen und neue Waren einkaufen. Jedenfalls würde er genug Geld verdienen, um auch seine Schwester einmal versorgen zu können, wenn sie nicht mehr fähig wäre zu arbeiten.
Allerdings wollte Luzia nicht gerne so weit in die Zukunft hinein denken. Es gab kaum etwas Bedauernswerteres als alte, unverheiratete Weiber, die ihrer Familie zur Last fielen. Viele zogen sich deshalb auf ihre alten Tage in Klöster zurück; wenn sie jedoch niedrig geboren und mittellos waren, blieb ihnen auch dort meist nur ein Strohsack im Stall oder neben dem Küchenfeuer.
Als Händlerin würde sie vielleicht genügend Geld verdienen, um sich dereinst selbst versorgen zu können. Es gab Frauen, die erfolgreich Handel betrieben; da hatte Martin recht. Auch in Koblenz lebten einige Frauen, die ihr eigenes Siegel führten. Nicht eine von ihnen war jedoch unverheiratet oder von niederem Stand.
Bei Elisabeth fühlte Luzia sich wohl; die Freundin würde sie niemals im Stich lassen. Wahrscheinlich würde die Gräfin sie noch unterstützen, wenn Luzia einmal nicht mehr als Leibmagd taugte. Doch war das wirklich alles, was sie vom Leben zu erwarten hatte?
Erstaunt stellte Luzia fest, dass sie, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, mehr wollte. Was genau, wusste sie nicht recht. Zu neu waren diese Gedanken für sie. Sie hatte ihre Fähigkeiten und Talente entdeckt – hatte festgestellt, dass ihr die Arbeit im Kontor und im Lager Freude bereitete, dass sie es offenbar verstand, Verhandlungen zu führen. Das alles wollte sie ungern wieder aufgeben. Es beschämte sie, doch ihr Angebot, Augusta während Martins Abwesenheit zu helfen, trug den Anstrich von Eigennutz – zumindest ein wenig. Das war gewiss etwas, das sie zu beichten hätte.
Prüfend blickte sie auf das kleine Unschlittlicht, das ihr als Stundenkerze diente. Noch ein kleines Weilchen, bis Roland einträfe. Im Haus war es inzwischen ganz ruhig geworden. Die Deckenbalken knarrten hin und wieder, auch das Holz der Stiege arbeitete und knarzte ab und zu. Luzia empfand diese Geräusche als beruhigend. Zumeist halfen sie ihr dabei einzuschlafen. Doch heute Abend war sie hellwach.
Noch drei Monate blieben ihr mit Roland, bevor er wieder auf Reisen ginge. Die Zeit seit dem Jahrmarkt schien wie im Fluge vergangen zu sein. Allzu oft hatten sie einander nicht gesehen; nur ein- oder zweimal in der Woche. Natürlich wusste Elisabeth davon; ihre Herrin und Freundin hatte sich deshalb sogar mit Johann gestritten. Luzias Tändelei, wie er es nannte, sah er nicht gerne. Dabei war das, was sie Bruder Georg gesagt hatte, die Wahrheit:
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