Die Gewürzhändlerin
der drei Männer auf dem Kreuzzug fiel ihr ein. Aber das war kein Traum gewesen, sondern eine Vision.
Hysterische Schreie rissen sie aus ihren Überlegungen. Sogleich richtete sie ihren Blick wieder auf das brennende Haus, in dessen Eingang sie noch immer stand, unsichtbar für die Menschen um sie herum. Sie erblickte Martin, der noch ein schmaler Jüngling war – und vollkommen ohne Brandnarben. Er kämpfte sich verbissen durch den Rauch; auf dem Arm trug er ein kleines Mädchen. War es Marcella oder Arietta? Ein großer rothaariger Mann, der Martin sehr ähnelte, nahm ihm das schreiende Kind ab; sogleich wollte Martin wieder in das Feuer zurückkehren.
«Nein, Junge, bleib hier!», rief der Mann – gewiss war es sein Vater. «Komm heraus, bevor du …»
Der Rest seiner Worte wurde durch das Tosen des Feuers und ein entsetzliches Krachen übertönt. Einer der Deckenbalken stürzte herab und begrub Martin unter sich.
Er stieß einen Schrei aus, hob den Kopf und schien sie direkt anzustarren. Dann verlor er das Bewusstsein.
Luzia wusste nicht, dass sie selbst tonlos schrie, konnte ihren Blick nicht abwenden von den hungrigen Flammen, die sich in Martins Fleisch fraßen.
Mit einem erstickten Laut fuhr Luzia hoch. Es war stockfinster in ihrer Kammer. Sie fror und bemerkte, dass ihre Wolldecke zu Boden gerutscht war. Hastig hob sie sie auf und kuschelte sich darunter. Ihr Herz raste in ihrer Brust; die Bilder ihres Traumes verblassten nur ganz allmählich. Mit den Fingerspitzen berührte sie ihre Wangen – und da erst spürte sie, dass sie weinte.
* * *
«Hier entlang.» Alban deutete auf die hölzerne Brücke, die vom Anlegeplatz der
Ludwina
hinüber auf das Deck des bauchigen Transportschiffs führte. Er ließ Luzia den Vortritt und folgte ihr mit Anton im Schlepptau.
Etwas ungelenk wegen des weiten Rocks kletterte sie an Bord und blickte sich um. Die
Ludwina
war eine typische Kaufmannskogge, einmastig und mit einem großen Rahsegel. Auf den ersten Blick schien das Schiff verwaist zu sein, doch gerade als sie nach dem Kapitän rufen wollte, kam ein Mann durch eine Luke aus dem Bauch des Schiffes heraufgeklettert.
Bei ihrem Anblick runzelte er zuerst überrascht die Stirn, dann lächelte er. «Guten Tag. Ihr müsst die Jungfer Luzia sein, die mir Herr Wied angekündigt hat.» Unverhohlen musterte er sie von Kopf bis Fuß. «Erst dachte ich ja, er sei nicht ganz richtig im Kopf, sich mit einer weiblichen Gehilfin abzugeben. Wer macht denn so was?, hab ich ihn gefragt. Nun ja, es sei denn, die betreffende Person wäre sein Eheweib, aber das trifft wohl auf Euch nicht zu, wie? Aber wenn ich Euch so ansehe, begreife ich zumindest einen seiner Gründe.» Da er ihren Unmut wahrnahm, verbeugte er sich leicht. «Verzeiht mir mein loses Mundwerk, edle Jungfer. Was ich damit sagen will, ist, dass mir selten eine größere Augenweide als Ihr über den Weg gelaufen ist. Und das will etwas heißen, schließlich komme ich ganz schön herum.»
«Ich vermute, Ihr seid Kapitän Loerbek», antwortete Luzia kühl und musterte ihn ebenso offen. Loerbek war ein Mann um die vierzig, von untersetzter Gestalt, mit dunkler, wettergegerbter Haut, von der sich die hellgrauen Augen deutlich abhoben. Sein Haar war hellbraun, durchsetzt von sonnengebleichten Strähnen und im Nacken zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Alles in allem machte er einen ordentlichen und vertrauenerweckenden Eindruck. «Wenn Ihr genug Süßholz geraspelt habt, würde ich mich gerne mit Euch über Buchfarben unterhalten.»
Der Kapitän stutzte, dann grinste er. «Aha, dachte ich mir doch, dass außer Eurer schönen Larve noch mehr dahinterstecken muss. Buchfarben, ja? Also gut. Folgt mir bitte nach unten.» Er deutete auf die Luke, durch die er eben heraufgekommen war.
Luzia blickte unsicher zu Alban, der ihr aufmunternd zunickte. Also folgte sie dem Kapitän hinab in den Frachtraum der Kogge. Alban hingegen blieb oben – ebenso wie Anton, der sich bereits auf einen Entdeckungsgang über das Schiffsdeck begeben hatte.
Als Luzia die letzten Stufen hinabgestiegen war, fiel ihr Blick als Erstes auf eine Reihe von Öllaternen, die an den Wänden hingen und den Raum gespenstisch erhellten. Ein Teil der Fracht war am Vortag bereits gelöscht worden, sodass sich nur noch auf der linken Seite Kisten und Fässer mit Tuchen und Wein stapelten. Dahinter lag halb verborgen eine Tür, zu der Loerbek sie nun führte.
«Bitte sehr, tretet ein und setzt Euch»,
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