Die Gewürzhändlerin
Andernfalls wäre ihr der Weg, den sie inzwischen eingeschlagen hatte, verschlossen geblieben. Sie hätte vermutlich inzwischen drei, vier oder gar mehr Kinder, einen Hof und Land zu bewirtschaften und niemals herausgefunden, dass das Talent einer Händlerin in ihr schlummerte. Tag für Tag hätte sie die gleiche eintönige Knochenarbeit verrichtet und wäre höchstens einmal in der Woche zum Markt in Kempenich gewandert, um dort die erwirtschafteten Überschüsse zu verkaufen.
Merkwürdig, dass sie früher niemals auch nur im Traum daran gedacht hatte, dass es außer diesem Leben auch noch etwas anderes für sie geben könnte. Im Gegenteil, sie war traurig und sogar ein wenig beschämt gewesen, dass sie – anders als ihre Freundinnen – noch nicht verheiratet gewesen war. Inzwischen lagen diese Tage so weit zurück, dass es Luzia manchmal vorkam, als hätten sie in einem anderen Leben stattgefunden. So vieles war seither geschehen, so weit war sie gegangen – ein Zurück würde es für sie wohl niemals mehr geben. Auch für Anton nicht. Er würde den elterlichen Hof nicht bewirtschaften, sondern nach Beendigung seiner Ausbildung in einigen Jahren als Martins Gehilfe arbeiten – oder vielleicht sogar auf Wanderschaft gehen und sich selbst einen Handel aufbauen. Diese Möglichkeit blieb ihr allerdings verschlossen. Gewiss konnte sie mit Martins Hilfe einen eigenen Spezereihandel beginnen, nichts anderes tat sie ja jetzt bereits. Aber als Frau blieben ihr dennoch viele Wege verschlossen. Andererseits verspürte sie auch nicht das Bedürfnis, auf große Wanderschaft zu gehen. Sie war von Herzen dankbar für das, was sie bisher erreicht hatte. Auch wenn sie niemals heiraten würde, hatte sie doch allmählich die Hoffnung, ein erfülltes und nützliches Leben führen und vor allem auch genug Geld zur Seite legen zu können, um später einmal abgesichert zu sein und Anton nicht allzu sehr auf den Geldbeutel zu drücken.
Beinahe schnitt sich Luzia vor Schreck in den Finger, als es zweimal kurz an der Haustür pochte, nur einen Wimpernschlag später die Tür aufflog und ein wütender Mann in pelzverbrämter Kaufmannskluft hereingerauscht kam.
«Wo steckt er?», brüllte der Besucher mit beinahe überkippender Stimme und baute sich schnaufend vor dem Schreibpult auf.
Luzia erhob sich bedachtsam. «Guten Tag, Herr Boos. Ich nehme an, Ihr möchtet mit Martin sprechen?»
«Sprechen? Ihm den Hals umdrehen, das will ich!», fuhr der Weinhändler Luzia grob an. «Und Euch gleich mit, wenn Ihr mir nicht sofort antwortet. Sagt schon, wo er sich herumtreibt!»
«Es tut mir leid, Herr Boos, aber Martin ist noch nicht wieder aus Lahnstein zurück. Aber vielleicht kann ich Euch helfen, wenn Ihr mir sagt, weshalb Ihr so aufgebracht seid.»
«Wahrlich, aufgebracht, das bin ich.» Boos wischte sich ein paar Tropfen Schweiß von der Stirn. Er musste geradezu hergerannt sein, um derart erhitzt hier anzukommen, denn das Wetter war nach wie vor frostig kalt. «Ich will auf der Stelle wissen, wie Wied dazu kommt, mir meine Kunden abspenstig zu machen.»
«Eure Kunden?»
«Die Zisterzienserinnen, den Schöffen Gerhard von dem Roten Löwen, den Rentmeister», zählte Boos auf. «Und das sind noch nicht alle. Eine Unverschämtheit ist das! Überall muss ich mir anhören, man habe einen neuen Gewürzlieferanten gefunden, der meine Preise deutlich unterbietet.»
«Wie kommt Ihr darauf, dass Martin dieser Lieferant sei?», fragte Luzia mit einem feinen Lächeln.
Boos kniff argwöhnisch die Augen zusammen und musterte sie. Seine aufgequollenen Wangen färbten sich dunkelrot. «Ja Teufel noch eins!», fluchte er. «Ihr wart das? Das ist ja unerhört! Muss ich mir jetzt auch noch von einem dahergelaufenen Weib Konkurrenz machen lassen?» Erneut kippte seine Stimme fast über. «Ich verlange, dass Ihr dieses unlautere Treiben sofort unterlasst!»
Luzia schüttelte milde den Kopf. «Was soll unlauter daran sein, einem Kunden einen niedrigeren Preis anzubieten?»
«Die Kunden laufen mir reihenweise davon!», polterte Boos. «Und sobald Ihr sie geködert habt, verlangt Ihr dann das Anderthalbfache.»
«Wie kommt Ihr denn darauf?» Verblüfft hob Luzia die Brauen. «Vielleicht sollte ich Euch daran erinnern, dass mein Name nicht Ulrich Thal lautet. Er mag so vorgehen, mir hingegen schwebt dies nicht vor.»
«Ach nein? Und wie wollt Ihr dauerhaft so niedrige Preise garantieren?»
«Garantieren kann ich gar nichts», erklärte Luzia und
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