Die Gewürzhändlerin
denn mit mir?», brüllte Boos. «Von Respekt habt Ihr wohl noch nichts gehört, was? Aber wartet, diese Lektion kann ich Euch gerne erteilen, damit Ihr zukünftig wisst, wo Euer Platz ist!» Er machte einen Schritt auf Luzia zu und hob bereits seine Hand. Augusta stieß er einfach beiseite.
Im nächsten Moment wurde er herumgerissen. Er stolperte rückwärts und prallte gegen die Kante des Pultes, das dabei ein Stück ins Rutschen geriet.
«Raus hier», sagte Martin mit eisiger, trügerisch ruhiger Stimme. «Lasst Euch hier nicht mehr blicken, Boos, es sei denn, um Euch bei Jungfer Luzia und meiner Mutter zu entschuldigen.»
Mühsam rappelte Boos sich wieder auf und fuhr sich, nun deutlich unsicherer, mit der Hand durch das dünne Haar auf seinem Schädel. «Wie Ihr wollt, Wied», sagte er. «Aber Ihr werdet schon noch sehen, wohin Euch die Tändelei mit diesem Weib führen wird.»
«Lasst dies nur ganz meine Sorge sein.» Mit einer unmissverständlichen Geste deutete Martin auf die Haustür.
Boos reckte störrisch das Kinn. «Das wird Euch noch leidtun, Wied, das verspreche ich Euch. Wartet es ab. Ich werde einen Weg finden, Euch und Eurer kleinen Metze den Garaus zu machen.» Boos rauschte aus dem Kontor. Augenblicke später fiel die Haustür krachend hinter ihm zu.
Aufatmend ließ sich Luzia auf den Stuhl sinken und rückte das Schreibpult zurecht. Dann hob sie den Kopf und blickte Augusta an. «Danke, dass Ihr mir beigestanden habt.»
Augusta nickte nur schweigend und verließ ebenfalls das Kontor.
Martin ließ sich auf der Kante des Pultes nieder. «Also gut, wer hat mit dem Streit angefangen?»
* * *
Beständig bewegte Luzia ihre Zehen in den dick gefütterten Winterschuhen, dennoch fühlten sie sich wie Eis an. Obgleich die Liebfrauenkirche während der Frühmesse am Sonntag stets bis auf den letzten Stehplatz belegt war, fror sie erbärmlich. In der Nacht hatte es geschneit, und gegen Morgen war es so kalt geworden, dass selbst die eng beieinanderstehenden Leiber im Kirchenschiff nicht ausreichend Wärme spenden konnten. Die Stimme von Vater Werner, der heute die Messe las, war kaum zu verstehen, da er schwer erkältet war und ständig hustete. Auch um Luzia herum krächzten und schnieften die Leute. Ein Mann schräg hinter ihr roch unangenehm nach Knoblauch, andere Körperausdünstungen mischten sich damit, sodass Luzia versucht war, durch den Mund zu atmen. Sie unterließ es jedoch aus Angst, sich von der kalten Luft Halsschmerzen einzuhandeln.
Elisabeth, die mit Johann vor Luzia stand, schien ebenfalls leicht zu zittern, bemühte sich aber standhaft um eine aufrechte, erhabene Haltung. Enneleyn hingegen, die sich dicht an Luzia drängte, klapperte unüberhörbar mit den Zähnen. Luzia zog das Mädchen noch dichter an sich und rieb ihr leicht über den Oberarm.
Da sie vom Gottesdienst kaum etwas mitbekam, ließ sie ihren Blick über die Menschen ringsum schweifen. Die meisten hatten, soweit es ihnen möglich war, trotz der bitteren Kälte ihre besten Kleider angelegt. Überall sah man reich bestickte Zunftmäntel, verbrämte Umhänge und Kleider; die Frauen von Adel sowie die reichen Bürgersfrauen trugen aufwendige Kopfbedeckungen zur Schau. Überall herrschte ein stetes, leises Gemurmel, gemischt mit dem Gebimmel unzähliger kleiner Schellen und Glöckchen, die so manch einer an Schuhen und Kleidern trug.
Als Luzia ihren Kopf nach links wandte, begegnete ihr Blick dem von Siegfried Thal, der offenbar etwas verspätet in der Kirche eingetroffen war und sich, wie es schien, mit voller Absicht in die Nähe ihres Standplatzes vorgeschoben hatte. Er lächelte und zwinkerte ihr fröhlich zu. Verlegen senkte sie den Blick und betrachtete züchtig ihre gefalteten Hände. Auch wenn scheinbar ein jeder ringsum mit sich selbst beschäftigt war, hieß das noch lange nicht, dass Siegfrieds Geste niemandem aufgefallen wäre. Schnell konnte man in Koblenz ins Gerede geraten, das wusste Luzia; deshalb vermied sie es, ihn erneut anzusehen. Sie spürte dennoch seine aufmerksamen Blicke auf sich ruhen.
Nachdem Vater Werner den Segen über die Gemeinde gesprochen hatte und die letzten Worte des Gottesdienstes verklungen waren, schoben sich die Menschen wie eine dichtgedrängte Herde Schafe zum Kirchenportal hinaus. Luzia war froh, recht weit hinten gestanden zu haben, da sie auf diese Weise das Gotteshaus schnell verlassen konnte.
Im Freien herrschte zwar eine noch größere Kälte, doch zumindest war sie nun
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