Die Gewürzhändlerin
Familie Thal um eine Hausecke verschwinden sah, hätte er am liebsten laut geflucht. Stattdessen löste er seine verkrampften Hände mit Bedacht und betrachtete sie eingehend.
«Stimmt etwas nicht, Herr Wied?», fragte Anton unsicher. Der Junge stand schon eine ganze Weile still neben ihm und wartete auf Anweisungen.
Martin wandte ihm den Kopf zu. «Ist schon gut, Anton, ich habe nur nachgedacht.»
«Wenn Ihr nicht bald etwas tut, schnappt ein anderer sie Euch vor der Nase weg.»
Überrascht holte Martin Luft. «Ich verstehe nicht ganz.»
Anton zuckte lediglich die Achseln. «Luzia zu verstehen war noch nie einfach. Aber so wie ich es sehe, solltet Ihr ihr nicht alles durchgehen lassen. Sie kann ziemlich stur sein.»
Nachdenklich musterte Martin seinen Lehrjungen. «Du scheinst ein guter Beobachter zu sein.»
«Ich sehe nur, was jeder sehen kann, wenn er nicht mit Blindheit geschlagen ist. Wann wollt Ihr es ihr endlich sagen?»
Martin klappte vor Verblüffung die Kinnlade herab. «Anton, ich …» Er schüttelte den Kopf. «Ich glaube nicht, dass wir ein solches Thema miteinander erörtern sollten.»
«Warum nicht? Luzia ist meine Schwester. Wäre ich erwachsen, müsstet Ihr deswegen sogar mit mir sprechen, weil ich ihr einziger noch lebender männlicher Verwandter bin.» Anton grinste. «Also wenn Ihr meinen Rat hören möchtet: Macht es ihr nicht so leicht. Sie ist ziemlich verbohrt, wegen unserer niedrigen Herkunft. Vielleicht solltet Ihr ihr diesen Unfug allmählich austreiben.»
«Anton, das ist kein Unfug. Bei Lichte besehen wäre eine Verbindung zwischen uns tatsächlich unstandesgemäß.»
«Dann betrachtet es eben nicht bei Lichte», erwiderte Anton ungerührt. «Kein Mensch hier weiß, woher Luzia und ich stammen. Von mir wird es bestimmt niemand erfahren. Wo also liegt das Problem?»
Martin runzelte die Stirn und hob die rechte Hand, sodass Anton das weiße und rotbraune Narbengewebe und den verkrüppelten kleinen Finger sehen konnte. «Hier. Dies hier ist das Problem: eines, das sich nicht mit ein paar guten Worten aus der Welt schaffen lässt.» Die Bitterkeit in seinem Ton ließ Martin selbst erschauern, dennoch setzte er nichts hinzu, was die Härte seiner Worte gemildert hätte.
Anton betrachtete die Hand, dann hob er den Blick und lächelte. «Das ist in der Tat eine Sache, zu der ich nichts sagen kann. Nur eines will ich noch einmal wiederholen: Macht es ihr nicht so leicht.»
Leicht verärgert zog Martin die Stirn kraus. «Ich würde sagen, du gehst jetzt auf direktem Wege nach Hause. Meine Mutter wird inzwischen mit dem Essen auf dich warten.»
«Kommt Ihr nicht mit?»
«Nein, ich habe noch etwas anderes vor.» Grußlos wandte Martin sich ab und ging davon. Als er schon ein gutes Stück gegangen war, hörte er Antons Stimme über den inzwischen menschenleeren Kirchhof schallen: «Herr Wied, die Gerlies mag Euch auch nur, weil Ihr sie dafür bezahlt.»
Erbost fuhr er herum, sah jedoch nur noch, wie Anton auf flinken Füßen in Richtung Florinshof davonrannte.
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18. Kapitel
Handelsstraße zwischen der Benediktinerabtei Laach und Kempenich, eine Woche nach Ostern, Anno Domini 1352
S tandhaft versuchte Luzia, ein Stöhnen zu unterdrücken. Das Kreuz tat ihr weh wie schon lange nicht mehr. Zwar besaß der hübsche kleine Zelter, den Martin für sie ausgesucht hatte, einen angenehm gleichmäßigen Gang, doch so lange zu reiten, war sie einfach nicht gewöhnt. Sie drückte den Rücken durch und streckte die Nase in den warmen Frühlingswind, sog tief die würzige Luft ein und versuchte, nicht an die Schmerzen zu denken.
«In zwei Stunden sollten wir die Burg erreicht haben», sagte Martin neben ihr. Ihm schien der lange Ritt nichts auszumachen; wachsam und sichtlich guter Dinge blickte er sich um. Sie passierten gerade ein lichtes Waldstück; hinter ihnen rumpelte und polterte das Fuhrwerk, auf dem sie die für Graf Simon bestimmten Weinfässer sowie eine Kiste mit Küchengewürzen und anderen Spezereien transportierten.
Alban lenkte den Wagen, neben ihm auf dem Bock saß Anton. Hinter dem Fuhrwerk ritten zwei bewaffnete Knechte. Es war nicht ganz ungefährlich, mit wertvollen Gütern zu reisen, schon gar nicht für eine Frau. Martin hatte ihr klargemacht, dass sie nicht verpflichtet sei, die Buchfarben für die Benediktiner in Laach selbst auszuliefern. Doch diesmal hatte sie darauf bestanden. In den vergangenen beiden Monaten hatte sie ihre Aufgaben in
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