Die Gewürzhändlerin
darüber hinaus den Wert der Münzen kannten, die sie in ihrer Börse mit sich trugen.
Lächelnd strich Luzia über den Buchdeckel des
Liber Abbaci
, zog dann jedoch die mit Klammern zusammengehaltene Kladde zu sich heran, die stets auf ihrem Tisch lag. Darin hielt sie gewissenhaft all ihre Einnahmen fest, also den Lohn, den Elisabeth ihr zahlte, sowie die Pachteinnahmen aus Blasweiler. Auch ihre Ausgaben schrieb sie in einer gesonderten Spalte nieder, wie sie es einst in einem Rechnungsbuch des Weinhändlers Martin Wied gesehen hatte. Vermutlich würde er sich darüber lustig machen, denn wie wichtig waren schon die Aufzeichnungen über Haarbänder und -spangen, Stoff für Unterhemden oder süße Krapfen vom Marktbäcker?
Luzia war jedoch stolz darauf, dass sie stets genau wusste, wie viele Silber- und Kupfermünzen sich in der kleinen Geldkassette in ihrer Truhe befanden. Über die Jahre hatte sie eine stattliche Summe angespart. Genug, um … ja, um was? Sie stützte den Kopf in ihre Hände und betrachtete nachdenklich die Zahlen vor sich. Was sollte sie mit all dem Geld jemals anfangen? In Elisabeths Haushalt fehlte es ihr an nichts, auch Anton war wohlversorgt. Zwar hatte sie regelmäßige Ausgaben für neue Kleider – ihr Bruder wuchs in letzter Zeit allzu rasch aus seinen Sachen heraus –, dennoch blieb ein ordentlicher Betrag übrig.
Vielleicht, so überlegte sie, sollte sie beim Stadtrat eine verzinsliche Rente hinterlegen, auf die sie später einmal zurückgreifen konnte, falls es die Umstände erforderten. Sie hatte Elisabeth und Johann über solche Renten sprechen hören, wusste jedoch nicht, ob es auch Frauen gestattet war, so etwas zu tun.
Eine andere Möglichkeit wäre, mit dem Geld eine Lehrstelle für Anton zu bezahlen. Sie wusste nicht genau, wie viel die Lehre bei einem angesehenen Handwerker kostete, wollte aber, dass ihr Bruder etwas aus sich machte. Sie ahnte schon länger, dass er kein Verlangen mehr verspürte, den elterlichen Hof irgendwann zu übernehmen. Die Arbeit als Knecht gefiel ihm besser. Aber sollte er sein Leben lang ein Dienstbote bleiben? Vielleicht wäre es gut, einmal mit ihm darüber zu sprechen und auch zu versuchen herauszufinden, welche Möglichkeiten es für einen Jungen wie ihn gab.
Seufzend schob sie die Kladde von sich und zog stattdessen das dünnere der beiden Bücher zu sich heran. Im Grunde wusste sie, dass Anton für einen Lehrjungen schon einige Jahre zu alt war, doch etwas musste sie für ihn tun. Sie wollte dafür sorgen, dass er einmal auf eigenen Füßen stehen würde, vielleicht bei einem angesehenen Handwerker als Geselle arbeiten und leben konnte. Der Hof in Blasweiler war zwar sein Erbe und eine Rückversicherung, aber weder sie noch er wollte dorthin zurückkehren. Wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie zugeben, dass es die Erinnerungen waren, die sie und auch Anton zurückhielten. Zu viel Leid war geschehen. Aus der Ferne war es leichter, nur die schönen Erinnerungen am Leben zu erhalten.
Luzia klappte den Buchdeckel auf und begann zu lesen. Sie kannte die Worte sehr genau, hatte sie in diesem Buch doch schon unzählige Male geblättert und die gelehrten Ausführungen studiert. Ihren Reiz verloren sie deshalb nicht. Schon bald zog sie den Abakus näher und begann, ein paar der beschriebenen Rechenoperationen durchzuführen. Dann dachte sie sich selbst Rechenaufgaben mit neuen Zahlen aus und versuchte sich an der Lösung. Sie war so vertieft in ihre Studien, dass sie zunächst gar nicht merkte, dass die Flamme ihrer Öllampe kleiner wurde. Erst als es leise zischte und die Flamme zu flackern begann, hob sie den Kopf. Das Öl war fast aufgebraucht. Wenn sie nicht gleich im Dunkeln sitzen wollte, musste sie hinab in die Vorratskammer steigen und die Lampe auffüllen.
Rasch nahm sie das Lämpchen und verließ damit die Kammer. Schon auf der Treppe hörte sie die Stimmen aus der Stube und verhaltenes Gelächter. Elisabeth und Johann schienen einen angenehmen Abend mit ihren Gästen zu verbringen. Ohne weiter darüber nachzudenken, ging sie die letzten Stufen so vorsichtig hinab, dass das Holz nicht zu laut knarrte, und trat dann an die geschlossene Tür heran. Sie wusste, dass es sich nicht schickte zu lauschen, doch ihre Neugier war größer.
«… immer sehr guten Wein geliefert», hörte sie einen der Männer sagen. «Leider kommt sein jüngerer Bruder Konrad – kennt Ihr ihn? – nicht mit den Bestellungen nach. Ist wohl noch zu unerfahren
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