Die Gewürzhändlerin
überschreiten würde. Letztlich war es diese Einsicht gewesen, die seine Eifersucht besänftigt hatte, als Siegfried Thal begonnen hatte, Luzia zu umgarnen. Bei Roland verhielt es sich freilich anders. Er gehörte überhaupt keinem Stand an, war ein Vagabund, ein Heimatloser. Ihm gehörte Luzias Herz. Sooft Martin sich dies vor Augen hielt, spürte er einen schmerzhaften Stich, mit dem eine tiefe Resignation einherging. Gefühle konnte niemand erzwingen. Er war auch nie jemand gewesen, der viel auf die eigenen Gefühle gab. Zu sehr war er seit seiner Entstellung damit beschäftigt gewesen, die eigenen Empfindungen, den Schmerz, die Angst, die Hoffnungslosigkeit zu unterdrücken und in seinem Herzen zu verschließen, um irgendwie weiterleben zu können. Er hatte sich damit abgefunden – bis ihm an jenem Tag vor drei Jahren auf Burg Kempenich diese hübsche rothaarige Magd mit dem frechen Mundwerk über den Weg gelaufen war. Noch heute sah er sie vor sich, wie sie ihm unerschrocken begegnet war, obgleich ihr klar gewesen sein musste, wie ungezogen sie sich verhielt.
Sie hatte ihn gereizt, vom ersten Moment an. Dass er sie liebte, war ihm jetzt erst zur Gänze klargeworden.
Er räusperte sich leise. «Luzia? Allmählich sollten wir aufbrechen. Bis Sinzig haben wir ein gutes Stück Weges vor uns. Von dort aus werden wir morgen mit einem der Treidelkähne rheinaufwärts fahren.»
Beim Klang seiner Stimme zuckte Luzias Herz leicht. Sie nickte, konnte sich aber nicht dazu überwinden, ihm ins Gesicht zu sehen. «Ich habe eine kleine Andacht gehalten. Reicht die Zeit noch für einen kurzen Besuch bei Vater Anselm? Ich möchte ihm gerne etwas dafür geben, dass er sich um die Gräber kümmert. Auch möchte ich, dass er weitere Seelenmessen hält und …»
«Natürlich, geh nur. Aber halte dich nicht zu lange auf.»
«Das werde ich nicht.» Nun hob sie doch den Blick. «Martin … danke, dass du mit mir hierhergekommen bist.»
Ehe er darauf etwas erwidern konnte, hatte sie sich abgewandt und war über den Kirchhof in Richtung des winzigen Pfarrhauses gegangen. Dennoch war ihm das leichte Flackern in ihrem Blick nicht verborgen geblieben.
Schweigend blickte er ihr nach – mit einem unmerklichen Lächeln auf den Lippen, das er sich selbst kaum erklären konnte.
«Herr Wied?», schallte Antons Stimme ihm entgegen, als er sich auf den Weg zu den Pferden machte. Der Junge kam wild gestikulierend auf ihn zugerannt und deutete immer wieder hinter sich. «Da ist ein Reiter gekommen, der Euch sprechen will. Er hat eine wichtige Nachricht für Euch, sagt er.»
«Eine Nachricht?» Überrascht beschleunigte Martin seine Schritte und folgte Anton zu dessen Hof zurück. Dort wartete tatsächlich ein berittener Bote, der behände vom Rücken seines Reittieres sprang, als er den Kaufmann erblickte. Die Flanken des Tieres trieften vor Schweiß, offenbar hatte der Bote es ziemlich eilig gehabt. Sogleich zog sich Martins Magen schmerzhaft zusammen.
«Was gibt es?», fragte er dennoch ganz ruhig. «Ist etwas mit meiner Familie geschehen?» Er betete aus tiefstem Herzen, dass sich Konrads Zustand nicht doch wieder verschlimmert hatte.
«Nein, Herr Wied», antwortete der Mann eilig. «Keine Nachricht von Eurer Familie. Mein Name ist Ludwig. Man hat mich aus Mainz geschickt, um Euch zu benachrichtigen, dass Eure Kogge, die
Ludwina
, auf Grund gelaufen ist und repariert werden muss. Da Ihr der Haupteigner seid, ist Eure Anwesenheit vonnöten.»
Besorgt und nicht wenig überrascht runzelte Martin die Stirn. «Auf Grund gelaufen, sagst du? Jetzt im Frühjahr? Da hätte ich eher mit Hochwasser gerechnet. Sind die Schäden groß?»
«Genaues weiß ich nicht, aber man verlangte nach Euch.»
Martin fluchte unterdrückt. «Dann sind sie groß. In Ordnung, ich komme sofort mit.» Er blickte sich um und winkte Alban zu sich, der auf dem Bock des leeren Fuhrwerks auf die Abfahrt wartete. Rasch sprang der Knecht hinunter und eilte herbei. «Alban, du fährst mit Luzia nach Sinzig. Die beiden Waffenknechte nehmt ihr zur Sicherheit mit. Ich reite mit Ludwig und Anton auf direktem Wege nach Mainz. Es wird wohl eine Weile dauern, bis wir wieder in Koblenz sind.» Er blickte sich suchend um. «Anton, hol deine Schwester her, ich muss ihr noch ein paar Anweisungen geben.»
Anton kam zögernd näher. «Ihr wollt mich mitnehmen?»
Ungeduldig nickte Martin. «Du kannst doch reiten, also wirst du Luzias Zelter nehmen. Nun lauf schon, Junge, die Zeit
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