Die Gewürzhändlerin
wiederkehrenden Traum, der sie seit drei Nächten in schöner Regelmäßigkeit heimsuchte und ihr zunehmend Angst machte.
Vorsichtig umfasste sie das Kreuz, das sie nun wieder an einer schlichten Silberkette um den Hals trug. Nicht einmal unter das Kopfkissen musste sie es schieben; der Traum kam auch so jede Nacht wieder. Und mit ihm ein Gefühl, das, so redete sich Luzia beharrlich ein, keinesfalls Sehnsucht war. Besorgnis, ja, und vielleicht ein wenig Unmut über sich selbst, weil sie sich ständig fragte, wie es Martin wohl erging. Als habe sie nicht tagtäglich genug andere Sorgen. Olf Krutscherer hatte Nachricht geschickt, dass er mit seiner Handelskarawane bald in Koblenz eintreffen werde. Zweimal hatte Klarissa in Abwesenheit von Luzia nach ihr gefragt. Luzia wusste nicht recht, wie sie darauf reagieren sollte. Was wollte die Hurenwirtin von ihr? Bisher hatte sie doch ausschließlich Geschäfte mit Martin gemacht, und sicher wäre es besser, wenn es auch dabei bliebe.
Die Benediktinerinnen hatten wegen Auripigment und Alaun angefragt. Luzia hoffte, dass Martin sein Versprechen wahr machen und die Waren, die sich an Bord der Kogge befanden, mit einem anderen Handelsschiff nach Koblenz schicken würde, falls sich die Reparatur doch länger hinzöge.
Und dann hatte am Vortag Rigo de Beerte bei ihr vorgesprochen und sich nach Martins Verbleib erkundigt. Luzia vermutete, dass der Kauwerziner wegen Marcella gekommen war. Vermutlich wollte er endlich um die Hand des Mädchens anhalten. Auch ihn hatte sie vertrösten müssen.
Luzia richtete ihre Gedanken auf den morgigen Tag, auf die Aufgaben, die sie zu bewältigen hatte. Dabei spürte sie, wie allmählich ihre Glieder schwer wurden und der Schlaf herannahte.
* * *
Sie stand im Kontor, eine Öllampe in der Hand. Es war finster um sie herum – war es Nacht? Warum war sie mitten in der Nacht in Martins Haus? Sie suchte etwas. Doch was suchte sie?
In der rechten Hand hielt sie einen großen Schlüsselbund. Nacheinander schloss sie alle Truhen an den Wänden auf und durchwühlte sie. Wenn sie doch nur wüsste, wonach sie suchte! Die Zeit zerrann ihr zwischen den Fingern …
Panik stieg in ihr auf. Sie musste etwas tun, konnte sich aber nicht erinnern, was oder weshalb …
Eines wusste sie jedoch ganz gewiss: Sie träumte. Träumte denselben Traum wie in den drei Nächten zuvor. Und davor schon einmal, vor einigen Monaten. Und weil sie den Traum mittlerweile so gut kannte, wusste sie auch genau, was als Nächstes geschehen würde …
Ein Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren. Martin stand vor ihr, streckte die Arme nach ihr aus …
In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Nebelschwaden zogen auf und hüllten alles in undurchdringliches Weißgrau …
Als sich der Nebel ein wenig lichtete, erkannte sie die Truhen an den Wänden. Und da kam ihr der Gedanke erneut: Sie musste unbedingt etwas finden. Doch was? Was suchte sie? Was wollte sie hier? Weshalb hatte sie das Gefühl, die Zeit laufe ihr davon?
Sie fand keine Antwort darauf.
* * *
Hocherhobenen Hauptes und mit gestrafften Schultern ging Luzia die Kastorgasse entlang, neben sich den lamentierenden Alban, der mit ihrem Vorhaben alles andere als glücklich war. «Wartet doch ab, bis sie Euch aufsucht», wiederholte er fast schon gebetsmühlenartig. «Sie war schon zweimal da, dann wird sie sicher auch noch ein drittes Mal …»
«Alban», unterbrach Luzia ihn etwas ungeduldig. «Ich muss doch sowieso einen Wechsel im Gasthof
Zum Spieß
abholen. Da liegt Klarissas Haus auf dem Weg. Wenn sie da ist, kann ich also genauso gut gleich in Erfahrung bringen, weshalb sie mich sprechen wollte.»
«Aber es ziemt sich nicht für eine keusche Jungfer, sich in ein Hurenhaus zu begeben! Denkt nur, was die Leute sagen werden.»
«Wer hat denn gesagt, dass ich mich in das Haus begeben werde?» Luzia schüttelte amüsiert den Kopf. «Keine zehn Pferde bringen mich dahinein. Du wirst dort anklopfen und nach Klarissa fragen.»
«Ich?»
«Wer sonst?» Sie lächelte über Albans empörte Miene. «Dich werden sie auch sicher nicht gleich auf der Schwelle abweisen. Immerhin bist du dort, soweit mir bekannt ist, hin und wieder Gast.»
«Ah …» Albans Gesicht lief rot an. «Das ist … Ihr solltet nicht …»
«Über so etwas Bescheid wissen?» Luzia winkte ab. «Hör zu, Alban, ich weiß, dass du Klarissas Haus hin und wieder aufsuchst, ebenso wie auch Martin dort ein und aus geht.» Dass ihr dieser Gedanke noch
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