Die Gewürzhändlerin
geflüsterten Worte vom Abend zuvor kamen ihr in den Sinn und jagten ihr erneut einen Schauer über den Rücken. Er wollte sie. Was sollte das bedeuten? Wollte er sie als Mätresse? Was hatte er damit gemeint, sie solle sich genau überlegen, was sie tat? Hatte sie ihn denn tatsächlich herausgefordert? Sie hatte ihn nicht darum gebeten, sie zu massieren. Möglicherweise hatte der Schmerz in ihrem Rücken ihr vorübergehend die Sinne vernebelt und sie dazu verführt, sein Angebot anzunehmen.
Was danach geschehen war … Luzia runzelte die Stirn. Wahrscheinlich konnte sie ihm sein Handeln nicht einmal zum Vorwurf machen. Sie wusste, dass Männer für gewisse Reize empfänglich waren. Selbige hatte sie ihm vermutlich gestern im Überfluss geboten. Es war alles so unwirklich gewesen, und abgehalten hatte sie ihn letztlich auch nicht – im Gegenteil! Vermutlich sollte sie dankbar dafür sein, dass er genügend Verstand und Selbstbeherrschung aufgebracht hatte, ihr Tun nicht zu Ende zu führen. Denn wohin hätte das wohl geführt?
Haltsuchend umfasste Luzia das Kruzifix. Sie spürte die tröstliche Kühle, die das Silber ausstrahlte. In Martins Armen hatte sie sich geborgen und sicher gefühlt. Merkwürdig, dass der Mann, der ihren Leib mit einigen Küssen und Berührungen in Flammen zu versetzen vermochte, gleichzeitig so vollkommen andere, unerwartete Empfindungen in ihr weckte.
Sie wollte ihre Freundschaft zu ihm nichts aufs Spiel setzen. Wer wusste schon, wie es weitergehen würde, wenn er erst einmal verheiratet war. Würde eine Ehefrau nicht tunlichst dafür sorgen, eine unverheiratete Gehilfin so rasch wie möglich loszuwerden?
Anton trat neben sie. «Ich geh schon mal zu den Pferden», sagte er. Seine Stimme klang ein wenig gepresst. «Wir müssen ja bald aufbrechen.»
Luzia nickte nur und hielt ihren Blick weiterhin auf das Grab ihrer kleinen Schwester gerichtet.
So fand Martin sie, als er wenig später den kleinen Kirchhof betrat. Er hatte sich, während Luzia mit den Pächtern des elterlichen Hofes gesprochen hatte, in Ruhe überall umgesehen. Der Hof der Bongerts war der größte in Blasweiler. Das Haus war zweigeschossig und zeigte deutlich, was für ein Unterschied es machte, wenn ein Bauer sowohl frei geboren war als auch unter dem besonderen Schutz des Grundherrn stand. Es gab einen gepflegten Gemüsegarten und Stallungen, in denen nicht nur Hühner, sondern auch zwei Schweine und einige Kühe Platz fanden.
Martin kannte sich mit dem Leben, das Bauern führten, kaum aus, schließlich gehörte er als Sohn eines erfolgreichen Weinhändlers einem ganz anderen Stand an. Zwar hatte er an den Markttagen in Koblenz mit vielen Bauern gesprochen und auf seinen Reisen schon etliche Male in Bauernkaten Unterschlupf gefunden, dennoch war ihm diese Welt weitgehend fremd geblieben. Sein geschultes Auge erkannte trotzdem, wie ordentlich die Beete geharkt und für die Aussaat vorbereitet waren: Hier bemühte sich jemand, Haus und Hof in ordentlichem Zustand zu erhalten. Luzia hatte Glück mit ihren Pächtern.
Viele Worte hatten sie seit dem Morgen noch nicht miteinander gewechselt. Martin hatte den Eindruck, dass Luzia die Geschehnisse des Vorabends peinlich waren. Auch wenn ihn dies schmerzte, war ihm doch selbst nicht ganz klar, wie er sich ihr gegenüber zukünftig verhalten sollte. Auf welche Weise sollte er ihr klarmachen, dass er sie zur Frau haben wollte, wenn er gleichzeitig selbst wusste, wie abwegig dieser Gedanke war? Mit eigenen Augen hatte er sich hier in diesem kleinen Eifeldorf überzeugen können, aus welchen Verhältnissen sie stammte. Natürlich hatte er es die ganze Zeit schon gewusst, doch ihr Elternhaus mit eigenen Augen zu sehen, war etwas ganz anderes. Er war neugierig gewesen, und nun wusste er nicht, wie er mit den Erkenntnissen umgehen sollte, die er heute gesammelt hatte.
Eines jedoch konnte er nicht verleugnen: Je mehr er versuchte, sich bewusst zu machen, wie wenig vernünftig eine Verbindung mit der Tochter eines Bauern war, desto stärker wurde sein Verlangen nach ihr.
Wie oft hatte er im Laufe des heutigen Morgens bereits den Kopf über sich geschüttelt! Selbst wenn er über die Kluft zwischen ihnen hinwegsah, wusste er doch genau, dass Luzia dies nicht tat. Auch wenn sie ihre niedrige Herkunft in der Stadt verschwieg, war sie sich dieser Tatsache nur allzu bewusst. Im Grunde war dies nur vernünftig. Er wusste, dass sie niemals von sich aus die Grenze ihres Standes
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