Die Gewürzhändlerin
kommt, ändert das doch …»
«Die Liebe?» Der Schultheiß hüstelte.
Von Ders schüttelte den Kopf. «Seit wann ist das denn der ausschlaggebende Grund für eine Heirat? Wenn alle Welt auf die Liebe warten müsste, um zu heiraten, gäbe es weit und breit keine Ehen mehr, meine Liebe.»
«Wie du meinst, mein Guter, wie du meinst.» Carissimas Lächeln war unergründlich.
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3. Kapitel
E s war noch dunkel, als Luzia erwachte. Ihr Herz schlug unnatürlich schnell; etwas irritiert fragte sie sich, was sie wohl geweckt haben mochte. Das wiederholte Krähen des Hahnes, der im Stall hinter dem Haus den frühen Morgen begrüßte, gab ihr schließlich die Antwort.
Luzia bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Hatte sie einen schlimmen Traum gehabt? Vorsichtig tastete sie nach dem Kruzifix; es lag nach wie vor unter ihrem Kopfkissen. Als sie es berührte, spürte sie die Wärme und das leichte Pulsieren. Gleichzeitig wurde sie sich bewusst, dass ihre Wangen sich feucht anfühlten. Sie fuhr sich mit den Fingern übers Gesicht: Offenbar hatte sie im Schlaf geweint.
Weshalb?
Je mehr sie versuchte, sich an ihren Traum zu erinnern, desto schneller schien er ihr zu entgleiten. Resigniert drehte sie sich auf die Seite, zog die Decke bis zum Kinn hoch und schloss erneut die Augen. Wieder griff sie nach dem Silberkreuz und umfasste es mit einer Hand. Und nun kamen nach und nach die Fetzen der Erinnerung zurück und setzten sich in ihrem Kopf wie ein Mosaik zusammen.
Luzia schluckte und spürte, wie sich ihr Herzschlag wieder beschleunigte. Es waren Bilder von einer lang vergangenen Frühlingsnacht, die sich vor ihrem inneren Auge formten und sich zu einer Kaskade längst vergessen geglaubter Gefühle verwoben, die ihr das Herz schwer machten. Übrig blieb schließlich ganz deutlich das Gesicht eines jungen Mannes mit langem schwarzem Haar, das er im Nacken zu einem Zopf gebunden hatte und dessen strahlend blaue Augen sie fröhlich anlachten. Wie lange hatte sie dieses Gesicht nicht mehr gesehen?
Luzia schluckte krampfhaft, ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. Gleichzeitig spürte sie, wie sich das Kruzifix in ihren Händen immer mehr erwärmte. Rasch ließ sie es los und kniff die Augen fest zusammen. Sogleich verblassten die Bilder ihres Traumes wieder. Erleichtert atmete Luzia auf und entspannte sich. Alsbald war sie erneut in tiefen, diesmal traumlosen Schlaf geglitten.
* * *
Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete Martin durch das Fenster seines Kontors, wie seine Knechte die Waren nach und nach von den Fuhrwerken abluden und im Hof aufstapelten. Sein Bruder Konrad und Alban waren damit beschäftigt, die Kisten und Säcke zu öffnen und deren Inhalt zu überprüfen, bevor sie alles in das kleine Lagerhaus brachten. Martin saß an dem mit Schnitzereien verzierten Schreibpult, an dem schon sein Vater und davor sein Großvater ihre Rechnungsbücher verfasst und die geschäftliche Korrespondenz erledigt hatten. Die Oberfläche des Eichenpultes war zwar blank poliert, wies jedoch unzählige größere und kleinere Kratzer auf. Es war eines der wenigen Möbelstücke, die den Brand vor vielen Jahren heil überstanden hatten – und das nur, weil Martins Vater das Pult genau zu jener Zeit bei einem Tischler zur Aufarbeitung abgegeben hatte.
Sanft strich Martin mit den Fingerspitzen über die Tischplatte, dann zog er das große, in Leder gebundene Buch heran, in welchem Konrad die Geschäfte der vergangenen zwei Jahre festgehalten hatte. Sein Bruder war sehr gewissenhaft dabei vorgegangen, wie Martin zufrieden konstatierte. Doch je länger er die Zahlenkolonnen in den Spalten für Einnahmen und Ausgaben betrachtete, desto tiefer grub sich eine steile Falte zwischen seinen Augen ein. Im ersten halben Jahr von Martins Abwesenheit waren die Geschäfte offenbar noch vollkommen zufriedenstellend verlaufen. Doch dann schlichen sich ganz allmählich Verluste in die Rechnungen ein. Namen von Stammkunden tauchten immer seltener auf, um schließlich ganz aus den Einträgen zu verschwinden.
Konrad hatte ihm bereits angedeutet, dass die Geschäfte in letzter Zeit immer schlechter gelaufen seien, doch was Martin in diesem Rechnungsbuch vorfand, war eine Katastrophe. Mit gerunzelter Stirn zog er einen Stapel Papiere heran, der mit mehreren Klammern zusammengehalten wurde: Briefe von Geschäftspartnern und Lieferanten. Während er sie durchsah, vertiefte sich die Falte zwischen seinen Augen noch
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