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Die Gewürzhändlerin

Die Gewürzhändlerin

Titel: Die Gewürzhändlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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mehr. Unbewusst trommelte er mit den Fingern der linken Hand auf die Tischplatte.
    Schließlich schlug er mit der flachen Hand auf das aufgeschlagene Buch und stand auf. «Konrad!», rief er, als er seinen Bruder mit einer weiteren Kiste voller Gewürze am Fenster vorbeigehen sah. «Komm herein, ich habe mir dir zu reden.»
    * * *
    Augusta Wied kam gerade aus der Stube, als sie Martin mit harscher Stimme nach Konrad rufen hörte. Alarmiert ging sie auf das kleine Kontor zu, blieb jedoch wenige Schritte vor der Tür stehen. Sie sah die aufgeschlagenen Bücher auf dem Schreibpult und dann das betretene Gesicht ihres jüngsten Sohnes, der eilig durch die Hintertür ins Haus geeilt kam und dann etwas unschlüssig vor seinem Bruder stehen blieb. Martins Miene verriet nichts Gutes. Diese steile Falte, die sich auf seiner Stirn eingegraben hatte, sah Augusta nicht zum ersten Mal. Schon bei seinem Vater war dies ein Anzeichen größten Unmuts oder gar Zorns gewesen.
    Leise räusperte sie sich. «Martin?»
    Ihre beiden Söhne wandten sich gleichzeitig zu ihr herum. Der Blick des einen war hilfesuchend, der des anderen sichtlich wütend. Augusta seufzte. Wie ähnlich sich die beiden sahen. Beide hatten das lockige Haar ihres Vaters geerbt, und das von Konrad war genauso feuerrot – ebenso wie das ihres ältesten Sohnes Bertholff, den sie schon seit so vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Martins Schopf hingegen war von einem ungewöhnlich dunklen Rot; genau wie bei ihren beiden Töchtern hatten sich bei ihm offenbar die beiden Haarfarben der Eltern – Rot und Dunkelbraun – zu einem seltenen Mischton vereint. Beide Männer waren groß und schlank, besaßen sehr ansprechende Gesichtszüge. Martins Brandnarben fielen Augusta mittlerweile kaum mehr auf. Sie schätzte sich jeden Tag ihres Lebens glücklich, dass der Allmächtige ihr diesen Sohn nicht genommen hatte, und wenn ihr Blick einmal auf die Entstellungen fiel, so machten sie ihr nichts aus. Das liebende Herz einer Mutter konnte über so manches mit Leichtigkeit hinwegsehen.
    In den zwei Jahren seiner Abwesenheit schien Martins Gesicht noch markanter geworden zu sein, was wohl nur natürlich bei einem Mann von mittlerweile fast dreißig Jahren war. Konrads Gesichtszüge wirkten insgesamt weicher, was nicht nur damit zu tun hatte, dass er fünf Jahre jünger als sein Bruder war. Augusta hatte stets den Eindruck gehabt, dass sich im Antlitz ihrer Söhne deren Charaktereigenschaften ablesen ließen. Konrad war zurückhaltender, man konnte ihn beinahe schüchtern nennen, wenngleich dies kein Wort war, das man bei einem Mann verwendete. Zudem zeigte er sich stets ausgeglichener und ausgesprochen sanftmütig. Möglicherweise war ihm dies in den vergangenen Jahren zum Verhängnis geworden. Er war einfach nicht der geborene Kaufmann, sondern hatte immer die Anleitung des Vaters oder später des älteren Bruders gesucht. Die Verantwortung für das Geschäft war ihm über den Kopf gewachsen. Nun stand er mit hängenden Schultern vor Martin, der bislang noch kein Wort gesagt hatte. Augusta sah ihm an, dass er mit sich rang. Martins aufbrausendes Temperament war ihm in jungen Jahren allzu oft zum Verhängnis geworden; er hatte erst mühsam lernen müssen, es im Zaum zu halten.
    «Martin …», setzte Augusta noch einmal an, doch ihr Sohn warf ihr nur einen kurzen Blick zu und schüttelte den Kopf.
    «Nicht jetzt, Mutter.» Martin ballte kurz die Hände zu Fäusten. Als er es bemerkte, atmete er tief ein und zwang sich, die Finger wieder zu entkrampfen und seinem Bruder ruhig und gefasst gegenüberzutreten. «Konrad …»
    «Ich weiß, was du sagen willst», unterbrach Konrad ihn hastig. «Wir haben … Ich hatte in letzter Zeit ein paar Probleme mit unseren Kunden.»
    «Ein paar Probleme?» Martin deutete auf das Rechnungsbuch. «Es sieht mir eher danach aus, dass uns über die Hälfte unserer Kunden – Stammkunden! – abgesprungen sind. Was ist zum Beispiel mit den Holes? Die haben schon bei Vater ihren Wein eingekauft. Seit Januar ist keine Lieferung an sie mehr verzeichnet. Was ist mit Richolf Zacharias und den Schöffen Gylo und Ludinger?»
    Konrad hob hilflos die Schultern. «Peter, der Sohn Gylos – du weißt schon, der Notar –, der hat neulich eine Bestellung aufgegeben.»
    «Zwei Fässer Wein!», fuhr Martin ihn an. «Zwei Fässer! Sag mir, wer von zwei Fässern Wein leben soll!»
    «Der Goldschmied Trutwyn kauft regelmäßig bei uns ein», verteidigte Konrad sich.

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